Im Museum Insel Hombroich bei Neuss erleben die Besucher „Kunst parallel zur Natur“, wie es sich Paul Cezanne einst erträumte. Ein lohnender Ausflug zu einem Spaziergang durch die renaturierten Erftauen mit Einblicken in die im Gelände verstreuten Ausstellungspavillons.
Kaffee, Tee, ein Apfel und eine Brezel umsonst. Keine Verbotsschilder entlang den Wegen und Pfaden, keine vom Kunstgenuss ablenkenden Texterklärungen. „Ballastfrei“ soll der Besuch in den Erftauen bei Neuss sein, in denen der 2007 verstorbene Kunstsammler und Mäzen Karl-Heinrich Müller seit 1982 seine Vision eines Neben- und Miteinanders von Bildender Kunst, Architektur und Naturerlebnis erschaffen hat: das Museum Insel Hombroich.
Der Düsseldorfer Immobilienmakler habe damals schlicht Platz für seine ausufernde Kunstsammlung gesucht, wollte sie aber nicht in einem stationären Museumsgebäude, sondern möglichst dezentral aufgeteilt der Öffentlichkeit präsentieren, heißt es. Bei der Suche nach der idealen Örtlichkeit stieß Müller auf einen verwilderten englischen Landschaftspark in der Erftaue bei Neuss. Hier macht der Fluss einen sanften Bogen.

Im Park – drum herum war Brachland – steht das 1816 erbaute „Rosa Haus“, einst Wohnhaus, heute Sitz des Literatur- und Kunstinstituts Hombroich. Daneben das „Kutscherhaus“ von 1906, das Wohnhaus Müllers und mit Ateliers des Bildhauers und Architekten Erwin Heerich und des Künstlers Gotthard Graubner. Im Park findet sich ein mehr als 200 Jahre alter seltener Baumbestand. Die Idylle ist die Keimzelle des Kunst-Naturprojektes mit Künstlergemeinschaft, wie es Müller vorschwebte.
1982 kaufte Müller das Gelände und stellte auch gleich die Bauanträge für die ersten beiden von heute zehn Pavillons. Hier sind wichtige Teile der mit Künstlerfreund Graubner als Berater aufgebauten Kunstsammlung zu sehen, oder es handelt sich um begehbare Skulpturen. Die Pavillons, konsequent auf Grundformen reduzierte White Cubes aus Ziegelmauerwerk, entwarf Erwin Heerich.






Von oben nach unten: An der „Orangerie“, Kultplatz, „Wächter“ von Anatol Herzfeld, Werke von Norbert Tadeucz („Tadeucz-Pavillon), „Zwölf-Räume-Haus“, „Stele“ von Yves Klein im „Zwölf-Räume-Haus“.
Ganze Bauten sind einzelnen Künstlern wie Graubner, Heerich oder Norbert Tadeusz vorbehalten. Für den Bildhauer Anatol Herzfeld (1931-2019) wurde schon in den Anfangsjahren eine Scheune zum Atelier-Wohnhaus umgebaut. Sein Kunstkosmos erstreckt sich auf einen eigenen Skulpturengarten. Es gibt ein eigenes Atelierhaus, eine Kinder-Kunstschule und mit dem „Labyrinth“ und dem „Zwölf-Räume-Haus“ die beiden größten Ausstellungsgebäude.
21 Hektar groß ist das Areal. Eine Insel wurde es erst im Laufe der Jahre nach zusätzlichen Flächenankäufen und der Reaktivierung toter Erft-Arme.
Bis 1993 erwarb Müller zusätzlichen Baugrund und Flächen in der Auenlandschaft. Durch landschaftsplanerische Eingriffe wurden weitere Totarme der Erft reaktiviert und renaturiert. Das Museum Hombroich wurde tatsächlich eine Insel, wie auf der Lagekarte des 21 Hektar großen Geländes zu sehen ist, und hat heute mehr als die doppelte Fläche gegenüber dem Ursprungsplan.

Das, wofür das alles gedacht ist, ist keine weitere systematische Sammlung der Klassischen Moderne, sondern das Zeugnis einer Liebhaberei mit subjektiven Schwerpunkten: „So gab er zum Beispiel Werke von Beuys, Polke, Fontana oder Tápies ab, um stattdessen Assemblagen von Schwitters oder Reliefs von Arp zu erwerben. Er folgte seinem Gespür, um in den Werken verschiedener Epochen das ihn interessierende Geheimnisvolle und Magische zu entdecken“, so Kitty Kemr im Museumskatalog.
Kernbestand der Sammlung sind Werke von Schwitters, Arp, Fautrier und Yves Klein („Klein-Blau“), natürlich Arbeiten von Heerich und Graubner, aber auch archäologische Funde, sowie ostasiatische Kunst wie Arbeiten der Khmer oder aus China, etwa aus der Han-Dynastie (206 v. Christus bis 220 n. Christus), aus Afrika und Ozeanien. Im „Labyrinth“ sind überraschend Zeichnungen von Cézanne oder Radierungen von Rembrandt zu entdecken, andernorts Gemälde von Corinth und Porträts der Renaissance.

Immer geht es in allen gezeigten Werkgruppen zum einen um den Binnendialog der Weltkulturen, entweder direkt in großen Sälen, oder im Nacheinander kleinerer Kabinetträume. Vor allem bei der Bestückung von Ausstellungsräumen mit großen Fensterflächen kommt ein weiterer Dialog dazu: mit der umgebenden Natur der Auenlandschaft.
So wirkt eine Galerie großer Kopfskulpturen der Khmer aus dem 12./13. Jahrhundert in der „Orangerie“ besonders exotisch vor einem trüben Flussarm der Erft, bestanden mit großblättrigen tropischen Pflanzen und Bäumen. Hier wachsen mehrere Meter hohe Rhododendren, Brücken und Stege führen zu versteckten kleinen Pavillons, oder oberhalb eines weiteren Zulaufs zur Erft zu einem abgeschiedenen kreisrunden Kultplatz mit einem voluminösen Ritualstößel neben einem sitzenden Ganesha.

Wer in diesem Teil des Naturgeländes der Insel Hombroich unterwegs ist, der wähnt sich zur Vegetationszeit eher in einem subtropischen Dschungel voller betäubender Blütendüfte. Nur wenige Meter weiter aber bevölkern mehrere Meter hohe gerostete Eisenfiguren mit Begrüßungsgeste neben den niederrheintypischen Kopfweiden das Erftufer. Anatol Herzfeld hat dieses Personal aufgestellt.
Eine Gruppe von ebenfalls übermannsgroßen gleich hohen „Wächtern“ Anataols steht etwas entfernt auf der Terrassenstufe der Erft-Senke, bedrohlich in Reih und Glied. Platziert sind sie in einer Baumgruppe, die ebenfalls exakt auf Abstand gepflanzt und in der Höhe beschnitten ist. Solche gezielt gesetzte Kunst-Natur-Spannungen gibt es im Außengelände der „Insel“ immer wieder.

Ein auffliegender Eisvogel, quakende Frösche, ein bei der Beutejegd regungslos am Tümpel stehender Graureiher…
Daneben kommt es zu reinen Naturerlebnissen. Zwischen Tümpeln und Feuchtwiesen führen Pfade vorbei an Flecken voll blühenden Fingerhuts, Holunder und Wiesenmargeriten, umgeben vom lautstarken Quaken der Auenfrösche, schwebenden blauen Libellen, dem funkelnden Juwel-Blau eines auffliegenden Eisvogels oder einem regungslos bei der Beutejagd verharrenden großen Fischreiher. Immer wieder entdeckt man so auf kleinen Rundwegen die rauen Backsteinmauern der Kunstpavillons.

Am Ende eine faszinierende Reise in eine eigene Welt, die man schon mit der Anreise beginnen kann. Erfolgt sie mit dem PKW, empfiehlt sich ein Parkplatz an der 1994 von Müller gekauften ehemaligen „Raketenstation“, das zweite Kunstareal mit zahlreichen Atelierräumen in den alten Kasernen und Schuppen. Hierbaute Tadeo Ando auch die Kunsthalle der Langen-Foundation, die Thomas-Schütte-Stiftung zudem eine Skulpturenhalle. So ist rund um eine alte Villa in der grünen Senke in fast 40 Jahren ein kleines Kunstquartier entstanden.

Wer das alles bei einem Tagesausflug verbinden will, den führt eine schnurgerade schmale Verbindungsstraße von der „Raketenstation“ vorbei an weiteren Künstlerbauten wie den „Drei Kapellen“ von Per Kirkeby, mitten durch die Felder zur Erftaue hinab.
An der Kreisstraße, die zum Parkplatz am Kassengebäude des Museums Insel Hombroich leitet, bietet ein Bauer Gemüse zum Selberpflücken an. Da geht das Kunst-Naturprojekt am Ende noch durch den Magen. In Bio-Qualität, versteht sich.
INFO
www.inselhombroich.de
Titelbild: „Turm“