Der Grenzländer

Die Eifel grenzt im Westen an Luxemburg und Belgien, die topografischen und kulturgeschichtlichen Übergänge sind fließend. Bei Losheim wechselt die Grenze auf einem schmalen Streifen sogar im Meter-Takt. Mehr Grenze geht nicht. Hier lebt Michael Balter, der Grenzländer.

„Erst bin ich ein Mensch, dann Eifeler, dann Grenzländer und dann Europäer“. Michael Balter, 43, tut sich schwer, sich festzulegen. Aber eins ist er nicht: Doppelbürger – obwohl es so nahe liegen würde. Balter, in Prüm geboren, aber in Losheim aufgewachsen, ist ein „Kind der Grenze“. Und das meint er grenzüberschreitend. Er wohnt in Hüllscheid in der belgischen Grenzgemeinde Büllingen, ganze zwei Kilometer von seinem Heimatort Losheim entfernt, dem Ort, der ihn zum Grenzländer macht. Unterhalb des deutsch-belgischen Grenzdorfes, dort, wo ab 1912 der Bahnhof und ab 1919 die Zollstation war, steht sein Elternhaus.

Die Grenze bei Losheim 1949. Foto: Archiv Michael Balter

Die Großeltern hatten hier eine Gaststätte, dann an heutiger Adresse ein Hotel, das von Balters Eltern weitergeführt wird. Sein Vater Hermann-Josef erweiterte den Familienbesitz um Anbauten. Ein Bruder Michael Balters führt heute das Modelleisenbahnmuseum im Alten Zollamt, er selbst verwaltet für die Familie das „Old Smuggler-Café“ , einen gemeinsam mit einem St. Vither Unternehmer betriebenen Supermarkt, er leitet eine große Kunstausstellungshalle und den „Ardenner Cultur Boulevard“, mit unter anderem der weithin bekannten Ars Krippana, der Ars Mineralis und der Ars Figura.

In Nord-Süd Richtung verläuft an diesem besonderen Grenzpunkt die B 265 von Prüm nach Monschau, von Osten kommt die B 421 von Stadtkyll. Doch an der Kreuzung der B 265 mit der belgischen Nationalstraße 634 nach St. Vith, wo bis zum Schengen-Abkommen 1993 die Schlagbäume standen, wird es unübersichtlich. Balters Heimat ist eher mitten in als an der Grenze: Die südliche Straßenseite nach St. Vith ist deutsch, die nördliche belgisch; an der B 265 ist rechts Richtung Prüm alles Belgien, links Deutschland. Im Prinzip.

Zick-Zack-Linie: Die deutsch-belgische Grenze am Kreuzungspunkt der B 265 mit der belgischen N 634. Foto: Archiv Michael Balter

Im Bereich dieser Kreuzung, wo einst die Zollhäuschen standen, hat es 1958 Sonderregelungen gegeben. Der Landgasthof und  Hotel Balter, die Modelleisenbahnausstellung im Alten Zollamt gehören zu Deutschland, seine Oma hatte sich damals dafür entschieden. Das Cafe „Old Smuggler“ gegenüber aber gehört zu  Belgien, der direkt angrenzende Supermarkt auch. Die damaligen Besitzer wollten es so. Gegenübe sind die „Ars-Ausstellungsgebäude – Krippana und Figura“ Balterscher Familienbesitz und auch belgisch:  Eine Grenze, die wie ein Zick-Zack-Muster auf wenigen hundert Metern verläuft.

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war Losheim Deutsch. 19120 wurde der Ort belgisch, 1922 wieder deutsch, von 1949 bis 1958 gehörte es erneut zu Belgien, seit 1958 endgültig zu Deutschland. Heute ist der Ort Teil der Gemeinde Hellenthal in Nordrhein-Westfalen. In südlicher Richtung zipfelt bis auf 500 Meter Rheinland-Pfalz heran. Mehr Grenzwechsel geht kaum.

Zeitungsausschnitt von 1958. Foto/Repro: Archiv Michael Balter

Warum das hin und her? Als 1957 der dann schließlich bis heute gültige Grenzvertrag zwischen beiden Ländern vorbereitet wurde, habe man die Losheimer gefragt, die direkt am Grenzverlauf wohnten: Wo wollt ihr hin? Rund um die heutigen Ars Krippana-Gebäude und den „Old Smuggler“ wollte man „keinen Ärger, und die Menschen selbst entscheiden lassen“, so Michael Balter. So kam es zum Parzellenwechsel im Meter-Takt: „Die Einen, die sich für Belgien entschieden haben, haben die Solo-Margarine im Frigo. Klopfen Sie wenige Meter weiter an, haben die Leute Rama im Kühlschrank“, lacht Balter. Seine Familie entschied sich für Deutschland.

Ein Beschluss der UNO von 1958 legte das Prozedere verbindlich fest:
„Die deutschen Staatsangehörigen, die ihren Wohnsitz in den in Artikel 1 Absatz (1) b) bezeichneten Gebietsteilen haben, haben das Recht, binnen zwei Jahren fur die belgische Staatsangehorigkeit unter Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu optieren. Sie haben, auch wenn sie nicht optiert haben, das Recht, ihren Wohnsitz und ihren Grundbesitz dort zu behalten. Es steht ihnen jedoch frei, binnen zwei Jahren ihren Wohnsitz in die Bundesrepublik Deutschland zu verlegen und ihre bewegliche Habe mitzunehmen, sowie gegebenenfalls den Erl6s des von ihnen veräußerten Grundbesitzes in die Bundesrepublik Deutschland zu überweisen.“

„Mir haben die Zöllner als Junge in den 1980er Jahren immer ein Sicherheitsgefühl gegeben. Es gab keine Kriminalität bei uns“, erinnert sich Michael Balter. „Aber was bedeutet eine Grenze schon für Einen?“ fragt der Mann, den die Grenze „seit meiner Kindheit geprägt“ hat, und der heute in beiden Staaten  arbeitet. Die Geschäfte liefen gerade hier in den 1980er Jahren für die Familie gut. Kaffee und Zigaretten waren in Belgien deutlich günstiger als in Deutschland: „Eine tolle Zeit“, so Balter im Rückblick auf seine Jugendjahre. Auch nach der EURO-Einführung blieben einige Vorteile erhalten.

Wie seine drei Brüder hat auch Michael Balter die Volksschule mit Ganztagsbetreuung im belgischen  Manderfeld  besucht – ein solches für die berufstätigen Eltern wichtiges Angebot gab es in Losheim damals nicht. Er lernte Französisch. „Die Grenze hat uns geholfen, beide Seiten hatten ihre Vorteile“, meint Balter im Rückblick.

„Wir brauchen den freien Handel in der EU!“

2005 hat er die belgische Staatsangehörigkeit angenommen. Er ging mit 33 Jahren in die Politik. „Ich wollte dem Land etwas zurückgeben; nicht nur meckern sondern handeln“. Balter ist einer von zwei Abgeordneten im Parlament der deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen für die VIVANT-Fraktion.

Von der EU-Bürokratie in Brüssel hält er nichts: „Frieden und Wohlstand sollte unsere Prämisse sein! Den freien Handel der Völker in der EU untereinander, den brauchen wir!“ In Losheim,  wo Europa und europäische Geschichte wie im Brennglas zu besichtigen sind, kann man den Grenzländer gut verstehen.