14. Juli 2021

14. Juli 2021: Dieser Tag wird in Teilen der Eifel als der Tag, an dem das Jahrhunderthochwasser kam in die Geschichtsbücher eingehen.  Eifelschreiber ist seit zwei Wochen für die Kölner Tageszeitungen im Hochwassergebiet unterwegs. Hier eine Fotodokumentation.

12.000 Euro sammelte Influencerin Larissa Loet (links) für ihre Hausnachbarin in Wißkirchen Flora Geppert, die durch das Hochwasser des Veybachs alles verloren hat.

Mindestens 150 Tote forderte die Hochwasserkatastrophe am 14. Juli im nordrhein-westfälischen Kreis Euskirchen und dem rheinland-pfälzischen Kreis Ahrweiler. Betroffen sind in der Großregion Aachen auch die Kreise Vulkaneifel, Bitburg-Prüm, Cochem-Zell und Trier-Hochwald, sowie die Stadt Trier, die Kreise Düren und die Städteregion Aachen in Nordrhein-Westfalen. Die entstandenen Sachschäden gehen vermutlich am Ende in den Milliarden-Euro-Bereich.

Hier eine Fotodokumentation aus dem Ahrtal bei Ahrhütte und Ahrdorf, dem Kylltal bei Kronenburg, der Steinbachtalsperre, aus Roitzheim bei Euskirchen, Kall, dem Stadtgebiet Heimbach, Schleiden und Gemünd im Oleftal, sowie von Helfereinsätzen etwa durch Pop-Up-Küchen in Holzmülheim und Euskirchen.

Sogar der Überlauf der Rurtalsperre bei Schwammenauel wurde geöffnet um die voll gelaufene Talsperre zu entlasten.


„KIND DU LEVVS NOCH!“


Auch das alte Häuschen von Bruno Baum in Bad Münstereifel hat das Jahrhunderthochwasser vom 14. Juli getroffen. Doch es ist noch bewohnbar. Der 68-Jährige ist Bassist der Band „Rostfrei“. Die Musiker spielten am vergangenen Samstag das erste von mehreren geplanten Benefizkonzerten für Hochwasseropfer.

Er habe da so ein Brettchen, meint Bruno Baum. Das wollte der 68-Jährige auch am 14. Juli noch vor die Eingangstür seines Wohnhauses an der Johannesstraße/Ecke Markt in Bad Münstereifel stellen. „Hochwasser haben wir doch immer mal wieder“, habe er noch gedacht, so Baum. Doch dann merkte er, dass dieses Hochwasser anders war und das mit dem Brettchen eine sinnlose Idee.

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Bildunterschriften (von links nach rechts und oben nach unten):
Der Heimbacher Kurpark in Höhe der Konzertmuschel wurde zur Ausweichfläche für die Rur.
Müllberge auf Mario Frings‘ Campingplatz in Ahrdorf. Holz wird einfach verbrannt.
„Wir mussten helfen, schnell!“ Landwirt Thomas Gräf (links) mit Markus Burg (Mitte) und Andreas Nießen von der Wißkirchener Feuerwehr“.
Matthias Woltering maß mit der Messlatte die Tiefe unmittelbar am 800er-Rohr zum Grundablass der Steinbachtalsperre. „Wir haben Glück, der Schlamm steht nur um die fünf Zentimeter hoch“, so Woltering. Das erleichterte schließlich das Abfischen.
Malte Duisberg (links), Geschäftsführer der Stiftung EvA, und Hausmeister Enrique Willms retteten die Bewohner der Erdgeschosswohnungen in den Seniorenhäusern in Kall vor dem Hochwasser.
„Das war das Windspiel, das an der Balkontüre hing“. Annegret Nussbaum in der vom Hochwasser völlig zerstörten Seniorenwohnung ihrer Mutter in Kall.
Mehr als zwei Meter hoch stand das Wasser am Hauptportal von Gemünds Pfarrkirche St. Nikolaus. Generalvikar Dr. Andreas Frick (zweiter von rechts) und Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens (rechts) informierten sich vor Ort über die Schäden bei Karl-Wilhelm Jansen vom Kirchenvorstand der Pfarrgemeinde (links), Küster Thomas Wergen und Pfarrer Phillip Cuck (Mitte). Gerettet aus dem überfluteten Kirchenschiff.
Eine historische Kniebank vor St. Nikolaus in Gemünd.

Denn das Wasser stieg schnell, immer weiter, man habe praktisch zusehen können, so der Bad Münstereifeler Erftanwohner. Kurze Zeit später war der reißende Strom der Erft, die sich bis in die Nacht durch Bad Münstereifels Altstadt wälzen sollte, schon so gewaltig, „dass ein alter Sandsteintrog, der heruntergeschwommen kam, meine Haustüre mit einem Schlag in zwei Teile zerbrach.“

„Ich habe anhand der Pegelstände der Erft aus den Orten oberhalb auf der Erftverband-Internetseite gesehen, was auf Roitzheim zukommt“. Orhan Aslan (links) warnte die Nachbarschaft an der Uferstraße Im Erfttal. Auch Maik Schulz konnte sich und seine Familie so retten.

Baum war zu diese Zeitpunkt schon längst klar, dass es nur noch darum gehen konnte zu retten, was zu retten ist. Er habe die wertvollsten seiner Instrumente im Aufnahmestudio im Keller gepackt und ins Obergeschoss gebracht, dann seine Frau und sich selbst.

Da war auch der Strom schon lange ausgefallen, die Telefonleitung stumm. Mit einer Taschenlampe musste sich Baum im Haus orientieren. Er sendete Lichtzeichen in Richtung der Häuser gegenüber am anderen Erftufer. Mit wenig Resonanz: „Seitdem die Altstadt Outlet Center ist, sind nur noch wenig Häuser bewohnt“, so Baum.

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Bildunterschriften (von oben nach unten und von links nach rechts):
„Die Helfer kommen selbst an ihre Grenzen“, befürchtet Rita Nagel, Koordinatorin der Notfallseelsorger in der Städteregion und für die Region Eifel im Bistum Aachen.
„Vier unserer Mitarbeitenden sind obdachlos geworden“. Rolf Schneider, Geschäftsführer des Caritasverbandes für die Region Eifel, hofft auf Personalunterstützung anderer Caritasverbände.
Ob die Marienfahne noch zu retten ist, ist unklar: Karl-Wilhelm Jansen (links) und Thomas Wergen ziehen die wertvolle Textilie aus der durchnässten Schutzhülle.
Hilfslieferung dank großzügiger Spende: Das Unternehmen Procter & Gamble Manufacturing GmbH in Euskirchen sorgt für Hilfslieferungen mit dem Nötigsten für den täglichen Bedarf auch nach Roitzheim. Hier ist „Tante Inas Laden“ in der alten Dorfkneipe das Sammellager.
Der mittlere Pfeiler der Brücke in Höhe der Lilienstraße/Im Erfttal wurde von der Erft abgerissen. Da so die Statik des Bauwerks beschädigt ist, muss es abgerissen werden.
Ein Damm wird in Roitzheim in der Erft aufgeschüttet um eine erneute Überflutung der Ufer zu unterbinden.
„Ich heisse einfach Gabi“. Gabi aus Kirchheim kommt täglich in die besonders betroffenen Hochwasserdörfer an der Erft bei Euskirchen. Auch in Roitzheim bietet sie den Helfern Kaffee an.



Wie zum Beweis zeigt Baum Smartphone-Videos der Horrorstunden vom Mittwoch, dem 14. Juli 2021, als seine Heimatstadt im Hochwasserchaos fast versank. „Meine Frau hatte Todesangt.“ Er versucht sich im Nachhinein die Naturgewalt der tobenden Erft so klar zu machen: „Ich bin zwar ein guter Schwimmer, aber da wäre ich natürlich chancenlos gewesen.“ Anderen aber sei es doch viel schlimmer ergangen, so seine Meinung.

Kein Strom auch noch bis zum vergangenen Samstag, als Baum vor einem ersten Benefizkonzert seiner Band „Rostrei“ für die Hochwasseropfer im Biergarten von Wolfert seine Geschichte erzählt. Keine Heizung, erst seit dem vergangenen Donnerstag überhaupt wieder fließendes Wasser. Doch das alte Haus an der Johannesstraße 1 gibt es noch.

Ahrdorf

„Es ist auch noch bewohnbar, das hat ein Statiker nach Begutachtung festgestellt“, ist Baum erleichtert. Der 400 Jahre alte Keller mit den „Meter dicken Wänden“ (Bau) hat gehalten. Er wurde wie das Erdgeschoss geflutet. Ja, er habe eine Elementarschadenversicherung, so Bruno Baum, „aber darin sind Hochwasserschäden nicht eingeschlossen, weil das Haus in einem Hochwasser gefährdeten Gebiet steht“.

Dennoch bleibt Bad Münstereifel vermutlich so das Gebäude erhalten, in dem einst der „Heilige Doktor von Moskau“, Dr. Friedrich-Joseph Haass (1780-1853), Sohn eines Apothekers, geboren wurde. Haass, von der katholischen Kirche seelig gesprochen, wurde berühmt, weit er 25 Jahre lag Strafgefangene in Russland seelsorgerisch, sozial und medizinisch betreute. Er habe sich für eine „Humanisierung des Strafvollzugs eingesetzt“, heißt es in einem Online-Lexikon.

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Bildunterschriften (von oben nach unten und von links nach rechts):
Zwiebeln schneiden im Akkord: Im Restaurant „Zur Erftquelle“ schnibbeln bis zu 30 Freiwillige seit gut einer Woche für bis zu 1900 Essen täglich, die kostenlos für Flutopfer und Helfende ausgefahren werden.
Thorsten Bauseler liefert Toilettenpapier an, im Restaurant „Zur Erftquelle“ in Holzmülheim befindet sich auch das Sachspendenlager für die Flutopfer.
„Man muss einfach helfen!“ Das ist die Devise von Konstatinos Koutis vom Euskirchener Restaurant „Poseidon“ (vorne). Gerade werden Bratwürste fertig für die Lieferung ins Flutgebiet. Täglich bis zu 300 Essen kann Koutis kostenlos zur Verfügung stellen.
Ganze Scheunen durchfloss die Ahr bei Ahrdorf.
„Was wird jetzt? Ich hatte das Geschäft seit 30 Jahren.“ Ina Nagelschmitz steht fassungslos vor ihrem Ladenlokal in Nettersheim.
„Meine Engel!“ Ulla Große-Meinínghaus‘ Schmetterlingsgarten in Ahrhütte wurde teilweise völlig zerstört. Junge Radler des Fair Play Camps in Blankenheim kamen mit Camp-Initiator Herbert Ehlen (rechts) gestern spontan vorbei und halfen beim Aufräumen.
Auch in Nettersheim wurden PKWs von den Wassermassen weggerissen, wie hier vom Genfbach.
In Ahrhütte hat die überfließende Ahr Häuser am Ufer zerstört.



Das „Haaas-Haus“ ist heute in Familienbesitz. Natürlich wolle er dort wohnen bleiben, wo er geboren wurde, so Bruno Baum. Wegziehen, aufgeben – das sei für ihn keine Alternative. „Es muss ja weitergehen.“  Jetzt ist die Musik sein Anker für den Neuanfang. „Ich mache Musik, seit ich neun Jahre alt bin“, schmunzelt Baum leise.

Bruno Baum

Am vergangenen Donnerstag fuhr er nach Arloff, ein weiteres Katastrophengebiet des Erfthochwassers vom 14. Juli. Dort lebt seine Schwiegermutter und seit der Katastrophe hatte er sie mangels funktionierendem Telefon- und Smartphone-Netz nicht erreichen können. Er klingelte an der Haustür. Seine Schwiegermutter habe geöffnet, ihn gesehen und nur erleichtert ausgerufen: „Kind, Du levvs noch!“


Titelbild: „Ich habe nichts mehr!“ Mario Frings aus Ahrdorf auf seinem Campingplatz „Stahlhütte“ an der rheinland-pfälzischen Ahr nahe der Landesgrenze.

Die Brigida-Kapelle in Kronenburgerhütte von der Kyll umflossen.