Das Gute ist zu wenig bekannt

Wir in der Eifel leben mitten in Europa. In einem friedlichen Europa seit 70 Jahren. Ohne Grenzen mit einer Währung. Für rund 500 Millionen Menschen in 28 Staaten ist auch der freie Warenverkehr heute Alltag. Das alles gab es in Europa und erst recht in der Eifel noch nie.

Werner Schmitz, ehemaliger Seniorchef des gleichnamigen Gartencenters in Pronsfeld, weiß noch genau, wie es war: „Wir waren zu teuer. Unsere Kunden mussten an der Grenze die Pflanzen verzollen“. 1993 dann auch für ihn die Zeitenwende: Der Europäische Binnenmarkt trat in Kraft – heute die größte Freihandelszone der Welt. Seitdem ist die Kundenzahl aus in und um St. Vith, oder den Grenzorten am luxemburgischen Our-Ufer beim Grünanbieter in Pronsfeld deutlich gestiegen. Schmitz schaltet sogar Werbung in Ostbelgien. 1985 war mit dem „Schengen-Übereinkommen“ der schrittweise Abbau der Grenzkontrollen zwischen Deutschland und den BeNeLux-Ländern beschlossen worden. „Schon das war für uns ein Gewinn“, so Schmitz.

Werner Schmitz vom Garten Center in Pronsfeld hat viele Kunden aus dem nahen Belgien und Luxemburg: „Bis die Zollschranken fielen, waren wir einfach zu teuer, denn Pflanzen waren zollpflichtig.“

„Für die Entwicklung der Eifel ist das offene Europa von überragender Bedeutung. Eines der wichtigsten Unternehmen im Prümer Land ist ein europäisches Unternehmen!“ Alois Söhngen, Verbandsbürgermeister in Prüm, braucht nur an den Standort der dänischen Großmolkerei ARLA bei Pronsfeld, nahe der Auffahrt zur A60 Richtung Lüttich, zu denken, wenn er den Stellenwert des gemeinsamen Wirtschaftsraumes Europa auf den Punkt bringen will. Die ARLA Genossenschaft, vormals M.U.H, bezieht einen Teil der Milch aus Luxemburg und Belgien – das sichert Arbeitsplätze drüben wie hüben.

Rund 30.000 Berufspendler wechseln täglich zwischen den grenznahen Eifelkreisen und Luxemburg.

Alois Söhngen

Ob die Landräte aus Bitburg oder Daun, die Landtagsabgeordneten der Region in Mainz, ob Unternehmer: Alle sind überzeugt, dass der freie Arbeitsmarkt in Europa für die Menschen der Region unverzichtbar geworden ist. „Den größten wirtschaftlichen Vorteil bietet uns im Eifelkreis Bitburg-Prüm der Staat Luxemburg als Arbeitsplatz für mehr als 8000 Menschen. Zugleich ist Luxemburg ein wichtiger Absatzort für Waren und Dienstleistungen aus der Region!“ Landrat Joachim Streit kann sich die Rückkehr der Grenzen etwa auf der Alten Sauerbrücke zwischen Echternacherbrück und Echternach nicht mehr vorstellen.

„Täglich pendeln 43.000 Menschen aus Deutschland nach Luxemburg“, bestätigt Luxemburgs Premier Xavier Bettel. Der überwiegende Teil, um die 30.000, kommen aus dem Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit in Trier, zu der auch die Landkreise Bitburg-Prüm und Vulkaneifelkreis gehören. Die SPD-Landtagsabgeordnete Astrid Schmitt aus Kirchweiler in der Vulkaneifel hat noch Relevanteres zur Hand: „Der Außenhandel der Großregion, zu der auch die Eifel gehört, mit Luxemburg betrug 2016 zum Beispiel 644 Millionen Euro, mit Belgien 2,384 Milliarden und mit Frankreich gut fünf Milliarden Euro“.

Hört sich unverständlich an, ist aber für Gewerbe und Handel einer der größten Pluspunkte der EU: Die „Reverse-Charge-Regelung“.

Landrat Dr. Joachim Streit.

Eines der Unternehmen, das schon vor Beginn der gemeinsamen Freihandelszone in Luxemburg vertreten war, ist JOLEKA aus Kalenborn-Scheuern. „Seit Mitte der 1970er Jahre haben wir eine Ausstellung in Luxemburg-Stadt und dort auch Mitarbeiter. Wir waren der erste deutsche Kunststofffensterhersteller in Luxemburg“, so Fabian Rieder, einer der beiden Geschäftsführer des Unternehmens. Was ihm der luxemburgische Markt bedeutet? „Von sieben Millionen Jahresumsatz kommen 1,5 Millionen aus Luxemburg“, so Rieder.

Auch Irene und Benito Pauly, Inhaber des in der Branche bekannten Spezialisten MSR Röntgenraumtechnische Systeme in Jünkerath machen Geschäfte mit Luxemburg, den Niederlanden und Belgien. Irene Pauly ist sich sicher: „Würde Europa scheitern, würde das erhebliche Nachteile für uns bedeuten. Der administrative Aufwand wäre ungleich höher.“

Markus Florange von PMPG.

Die Unternehmen aus der Region profitieren dabei von einer der – aus ihrer Sicht – größten Errungenschaften des gemeinsamen Wirtschaftsraums Europa: Ihre Rechnungen an die Kunden im Nachbarstaat enthalten keine deutsche Umsatzsteuer, denn dafür gibt es die EU-weite „Reverse-Charge-Regelung“: Der Kunde in Echternach des Handwerkers aus Prüm berechnet stattdessen die luxemburgische Umsatzsteuer. Die holt er sich von seinem Finanzamt zurück.

Markus Florange, Steuerberater und Partner der Kanzlei PMPG in Gerolstein, weiß, dass „rund 200“ seiner Mandanten aus der Eifel, die Geschäfte in Luxemburg machen, das zu schätzen wissen. Handwerksbetriebe, Bauunternehmen, Speditionen, IT-Spezialisten – die ganze Spannbreite betreuen die Gerolsteiner Berater. „Die Unternehmen sind zum Teil seit vielen Jahren in Luxemburg aktiv“, so Florange. Manche Betriebe aus der Region haben dort eigene Niederlassungen – so kommen sie noch besser an Aufträge heran. Ohne einen freien Wirtschaftsraum in der EU wäre das alles eher unwahrscheinlich.

Und auch wer aus der Region direkt in Luxemburg arbeitet, profitiert. „Nach zehn Jahren sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung haben Sie Anspruch auf die Rentenzahlungen aus Luxemburg. Die sind deutlich höher als in Deutschland“, so Florange, „und das bei geringeren Sozialabgaben für den Arbeitgeber.“

Kleine Beispiele für das, was „Brüssel“ auch möglich macht:

Mit LEADER-Mitteln gefördert: Der Generationenpark im kleinen Baasem in NRW (oben). Mit EU-Mitteln unterstützt: Der Archäologische Landschaftspark in Nettersheim (Mitte). Innerhalb des DorfBioTop!-Projektes von LEADER gab es „Gold“ für Sistig im Kreis Euskirchen: Als zweiter Ort im Kreis Euskirchen und bundesweit erst als dritter wurde Sistig vom NABU als „Schwalbenfreundliches Dorf“ ausgezeichnet (unten).

Für die Menschen in der Region ist Europa aber auch etwas ganz Anderes: ein bürokratisches Monster, das nur „Brüssel“ genannt wird. Die belgische Hauptstadt ist Sitz der Europäischen Kommission, das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg. Es ist das einzige in der EU, das keine eigene legislative Gewalt hat: Es kann Vorschlägen aus der EU-Kommission in Brüssel zustimmen, Änderungen fordern und muss sich mit dem Europäischen Rat abstimmen. „Brüssel“? Man denke nur an die legendäre EU-Verordnung 1677/88, die den Krümmungsgrad der Gurke festlegte und schließlich zurückgezogen wurde. Anderes Kuriose wie die Schnullerkettenverordnung kam dazu.

Kann Europa an der Überbürokratisierung des Alltagslebens seiner Bürger scheitern? Oder am Fehlen einer gemeinsamen und effektiven Flüchtlingspolitik? Handwerksbetriebe aus der Eifel, die sich bei öffentlichen Bauvorhaben bewerben, kritisieren anderes: die europaweiten Ausschreibungsverfahren, eine kleine Wissenschaft für sich. Die „EU-Schwellenwerte“ werden alle zwei Jahre angepasst: Bei öffentlichen Bauaufträgen gelten sie ab rund 144.000 Euro, bei allen anderen ab 5,54 Millionen; bei Liefer- und Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber ab 443.000 Euro (Stand: gültig ab 2018). Vorteil für osteuropäische Billiganbieter. Betriebe aus der Region haben da immer wieder das Nachsehen.

Grenzenlos unterwegs: Die Milchsammel-LKWs der ARLA Genossenschaft in Pronsfeld fahren für die Milchbauern aus der Eifel, den belgischen Ardennen und aus Luxemburg.

Doch „Brüssel“ ermöglicht auch so vieles – es müsste vielleicht bekannter gemacht werden, damit es die Menschen wertschätzen. „EU-Mittel zu bekommen, das ist für unsere Arbeit der absolute Schwerpunkt!“ stellt Landrat Heinz Peter Thiel im Dauner Kreishaus entschieden fest. Auch die Landtagabgeordneten Astrid Schmitt (SPD), Gordon Schnieder (CDU) aus Birresborn und Marco Weber  (FDP) aus Lissendorf sind einer Meinung: „Die Eifel hat Europa  und der EU viel zu verdanken!“, so Gordon Schnieder.

So bekamen nach Angaben von Astrid Schmitt die Landkreise Bitburg-Prüm und Vulkaneifel in der vergangenen Förderperiode (2007-2013) alleine EU-Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in Höhe von 4,48 Millionen Euro (Eifelkreis Bitburg-Prüm) und 1,51 Millionen Euro (Vulkaneifel) für die Realisierung von Projekten.

Trotz Bundes- und Landesmitteln: Auch der dringend nötige Ausbau des schnellen Internets in der Eifel wäre ohne EU-Zuschüsse nicht möglich.

Im Eifelkreis Bitburg-Prüm wurden alleine 2016 aus „Brüssel“ 20,97 Millionen Euro zur Förderung der Landwirtschaft ausgezahlt, aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) fließen jährlich 22.000 Euro in das Projekt „Kommunaler Jugendscout“, für die Bereitbandinitiative des Kreises zahlte die EU aus der „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz“ 2,17 Millionen als Förderung der Grundversorgung 2016-17. Die Liste lässt sich fortsetzen.

LEADER ist das bekannteste EU-Programm, das ebenfalls unmittelbar den Menschen in der Region nützt: Es ist für die Entwicklung und Stärkung des ländlichen Raumes gedacht. Die LEADER-Region Eifel umfasst 15 Gemeinden aus den Kreisen Düren und Euskirchen, sowie der StädteRegion Aachen, die den nordrhein-westfälischen Teil der Eifel abbilden. Im Februar 2016 wurde mit der Umsetzung der Regionalen Entwicklungsstrategie für die aktuelle LEADER-Förderperiode 2014 – 2020 begonnen. Es konnten bereits eine Vielzahl von Projekten zur Umsetzungsreife und Bewilligung durch die Bezirksregierung Köln gebracht werden.

Karte der LEADER-Region in der NRW-Eifel und die angrenzenden Eifelregionen in Rheinland-Pfalz, die ebenfalls aus dem EU-Topf gefördert werden. Karte: LEADER Eifel

Der Eifelkreis Bitburg-Prüm ist eine von 20 rheinland-pfälzischen LEADER-Regionen. Alleine zwischen 2007 und 2013 konnten 51 Projekte so mitfinanziert werden. Zum Beispiel aus dem Programm der Landesregierung in Rheinland-Pfalz „ZukunftsCheck Dorf“. LEADER, das in den EU-Landwirtschaftsförderfonds ELER eingebettet ist, zahlt zwischen 2014 und 2020 weitere rund 1,97 Millionen Euro. In vielen Fällen ist die EU-Unterstützung die Voraussetzung für ergänzende Landes- oder Bundesmittel und dafür, dass die Kommunen zwischen Bitburg, Daun und Prüm überhaupt den verbleibenden Eigenanteil bezahlen können.

Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde die Hoffnung für Viele. Sie ist heute die Notwendigkeit für uns alle“. Das sagte Konrad Adenauer, neben Helmut Kohl einer der unbestritten großen deutschen Europäer, schon 1954 im Bundestag. Doch was ist heute diese Notwendigkeit den Menschen in der Eifel noch wert?

Titelbild: Die alte Sauerbrücke zwischen dem deutschen Echternacherbrück und dem luxemburgischen Echternach. Bildquelle/Wikicommons: Wikipedia