Über vier Etappen und 85 Kilometer verspricht der „Wildnis-Trail“ von Monschau-Höfen bis Zerkall an der Rur, quer durch den Nationalpark Eifel, den Naturfreunden und Wanderbegeisterten den Nachvollzug des Wandels alter Wirtschaftswälder und eines aufgelassenen Truppenübungsplatzes zum „Naturwald“. Jeden Tag ein bisschen Wildnis mehr. Der zweite Teil des „Trails“ führt von Einruhr nach Gemünd.
Friedlich vertäut liegen die „Seensucht“ und die „St. Nikolaus“ der Rurseeschifffahrt an den Anlegern in Einruhr. Hier beginnt die zweite Etappe des „Wildnis-Trails“, 20,5 Kilometer bis Gemünd. Es gibt zunächst bis zur Urftseestaumauer zwei Varianten, genauer sogar drei: Eine am Obersee entlang, dann hoch zur Staumauer, eine direkter und steiler hoch, oder die dritte als Fahrt mit dem „Bötchen“ bis zum Anleger unterhalb der Staumauer.

Wer ein Verständnis für die Geschichte des Eifeltourismus bekommen will, der sollte mit einem der Passagierboote fahren. Die Rureifel war seit der Fertigstellung des Talsperrenverbandes – 1905 war die Urfttalsperre gebaut, 1959 die zweite Ausbaustufe der Rurtalsperre fertig gestellt – die erste Eifelregion, die vom Ausflugs- und Urlaubstourismus aus den Ballungsgebieten am Rhein profitierte. Eine Fahrt mit dem Rurseebötchen – das war über Jahrzehnte der Klassiker und ist es für viele, auch für Vereine oder bei Firmen- und Familienfeiern, noch heute.
Der „Wildnis-Trail“ nutzt die Seenplatte eher als Kulisse. Wichtiger ist das, was sozusagen drum herum zu sehen ist: Felsen mit Hangeichenbewuchs säumen den Weg schon bei der ersten Passage am Ufer des Obersees entlang. In einer scharfen Kehre geht es dann steil hinauf. Kurze Zeit später wird eine Abbiegung zur Urfstaumauer erreicht.
Für die Einweihung durch Kaiser Wilhelm II. wurden an der Urftstaumauer eigens Rundbögen zur Verzierung gebaut.

Das Bauwerk – von Kaiser Wilhelm II. 1905 anlässlich einer Eifelreise eingeweiht – war eigens für den Besuch seiner Majestät mit Rundbögen verziert worden. Damit es einfach netter aussieht. Heute können „Normalsterbliche“ ab und an bei einer Führung im großen Hohlkörper der Staumauer deren „Innenleben“ kennenlernen. Das Angebot macht der Betreiber des Talsperrenverbandes, die WVER (Wasserversorgung Eifel Rur) auf seiner Homepage bekannt.
Von Beginn an verfolgte man mit den beiden Talsperren in der Eifel mehrere Zwecke. Zum einen dient vor allem die Rurtalsperre dem Hochwasserschutz der unterhalb gelegenen Orte von Heimbach bis Düren, zum zweiten sind es wichtige Trinkwasserspeicher, zum dritten wird ein kontrollierter Grundablass für die Stromerzeugung genutzt. Ein 2,7 Kilometer langer Stollen durch den Bergrücken des Kermeters leitet das Wasser aus dem Urftsee zum Jugendstil-Wasserkraftwerk bei Heimbach.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mit dem Vollausbau der Rurtalsperre in Schwammenauel rund 146 Hektar Land und 42 Häuser in den Orten Pleushütte, Einruhr, Jägersweiler, Rurberg und Woffelsbach geflutet wurden. Die betroffenen Bewohner mussten sich eine neue Heimat suchen.

Zurück von der Staumauer beginnt nun der schärfste Anstieg dieser „Wildns-Trail“-Etappe. Es geht von knapp 320 Metern auf 530 Meter hinauf zur Wüstung Wollseifen. Ein Weg durch Ginsterbrachen und Offenland, baumlos, schatttenlos. Das ist eigentlich bei jedem Wetter eine Strapaze. Man fühlt sich wie in einer fremden, kargen Welt. Für den Nationalpark Eifel allerdings sind die Bereiche zwischen Wollseifen und bis zur später erreichten ehemaligen Ordensburg Vogelsang, dann am dritten Etappentag die Wege durch die Buchenwälder des „Wilden Kermeters“ der Kern des Schutzgebietes.
Am 1. August 1946 wurde Wollseifen zwangsevakuiert. Wenige Monate später wurde der Bevölkerung auch der Besuch ihres alten Dorffriedhofs untersagt.
Seit dem Mittelalter wurde auf der Hochfläche rund um die Dörfer Dreiborn und Wollseifen Landwirtschaft betrieben. Wälder wurden gerodet. Seit das Areal ab 1946 erst an die britische, dann an die belgische Militärverwaltung fiel, wurde es einer völlig neuen Nutzung als Truppenübungsplatz zugeführt. Das ist kein Naturschutzgebiet, es wurden vielmehr Fahrwege angelegt, Waldzonen sind hier bis heute nur an den Rändern zu finden. Doch wie soll hier jemals wieder ein „Naturwald“, das große Ziel der Nationalparkverwaltung, entstehen?




Wollseifen: Ehemalige Dorfstraße und St. Rochus.
Mindestens 75 Prozent der Fläche des Nationalparks müssen innerhalb von 30 Jahren nach der Gründung dem schon erwähnten „Prozessschutz“ unterliegen: Keine Eingriffe. Weder Mahd, Beweidung noch Anpflanzung. Aber 850 Hektar der insgesamt 11.000 Hektar dürfen Offenland bleiben, 670 davon auf der Dreiborner Hochfläche, zu der auch das Gelände rund um die Wüstung Wollseifen gehört.
Einst war das Dorf landwirtschaftlich geprägt, schon besiedelt vermutlich im Mittelalter. Der Ort wurde im Zweiten Weltkrieg, im Winter 1944/45, heftig bombardiert und stark zerstört. Dennoch gingen die Wollseifener an den Wiederaufbau.

Umsonst. Sie verloren Anfang August 1946, als nach Beschluss der britischen Militärregierung der Ort für den künftigen Truppenübungsplatz zu evakuieren sei, ihre Heimat. Zum 1. September 1946 wurde Wollseifen ein Geisterdorf. Lediglich den kleinen Dorffriedhof durfte die Bevölkerung noch einige Jahre lang ab und zu besuchen, bevor auch er aufgelöst wurde.
Was mit den Resten des Dorfes dann geschah ist eine zweite Zerstörung. Wohngebäude wurden zur Kulisse des „Häuserkampf-Trainings“, sogar der Turm der kleinen Pfarrkirche St. Rochus, die neben der ehemaligen Dorfschule, in der heute eine Ausstellung die Dorfgeschichte erklärt, als eines der wenigen alten Gebäude noch erhalten sind.
Die Kulisse wirkt einfach nur trostlos.
Dennoch gibt es hier so etwas wie eine „Dorfstraße“, umbaut mit neueren Zweckbauten fürs Militärtraining. Die Nationalparkverwaltung hat die schmucklosen Gebäude zu Artenschutzhäusern für Vögel und Fledermäuse umfunktioniert. Doch die Kulisse wirkt einfach nur trostlos.
Hinter Wollseifen senkt sich der „Wildnis-Trail“ nun idyllisch und pfadig in das Tälchen des Wollsiefens mit Erlenbestand hinab zum Neffgesbach, danach geht es erneut steil durch Eichenwald hinauf. Man erreicht die äußerste Fahrstraße des Komplexes der ehemaligen „Ordensburg Vogelsang“.
Drei Ausbildungsstätten für Führungsnachwuchs der Partei ließen die Nationalsozialisten schon kurz nach der „Machtergreifung“ 1933 bauen: Eine in Sonthofen im Allgäu, eine in Crössinsee in Pommern und die größte in Vogelsang. Die Grundsteinlegung in der Eifel war schon 1934. Robert Ley, Leiter der 1933 gegründeten Deutschen Arbeitsfront (DAF), wollte gezielt den „Herrenmenschen“ heranbilden. Dem Zweck wurde auch die gewaltige Architektur der Anlage, die aus der Vogelperspektive wie ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen aussehen sollte, untergeordnet. Vor allem aber die Standortwahl.


Nur von der Terrasse der „Ordensburg“ hat man diesen Panoramablick auf den Urftsee bis zur Staumauer und über die grünen Hügel der Rureifel hinweg. Eine herrschaftliche Perspektive im wahrsten Sinne des Wortes.
Man kann sich heute dieser Machtarchitektur und der im Kern dahinterstehenden rassistischen Ideologie vor Ort stellen. Im „Forum“ des heutigen „Vogelsang IP“ (Internationaler Platz) werden in einer klug konzipierten Dauerausstellung mit dem Titel „Bestimmung Herrenmensch“ die Geschichte und der Sinn des Ortes erklärt. Eine zweite Schau mit dem Titel „Wildnis(t)räume“ erklärt speziell für Familien Flora und Fauna der Eifel.
Ende 2005 wurde der Truppenübungsplatz zwischen Wollseifen und Vogelsang geschlossen, das Areal an die Bundesregierung übergeben. Ab dem 1. Januar 2006 auch das zuletzt teilweise vom belgischen Militär genutzte Gelände von Vogelsang mit den Gebäuden der alten Ordensburg und neueren Anbauten wie dem – vermutlich – größten Kinosaal der Eifel. Volgesang IP ist nicht Teil des Nationalparks, aber von ihm umschlossen.

So ist diese zweite Etappe des „Wildnis-Trails“ noch mehr als die erste auch ein Geschichtspfad, auf dem man viel über die wechselhaften Zeitläufe des Lebens in diesem Teil der Eifel erfährt.
Der „Trail“ führt nun erst einmal hinab ins Morsbachtal, dann hinauf zum „Eifel-Blick“ Kickley“ – von „kicken“ – schauen – und „Ley“ für Fels. Der „Eifel-Blick“ geht hinunter ins Tal der Urft, die sich hier in großen Biegungen Richtung Gemünd windet. Ihr Bett ist breit und ausgewaschen. Wenig später wird man wissen warum.
Einige Meter weiter hoch wird dann ein zweiter Aussichtspunkt auf dem Modenhübel erreicht. Touristiker aus der Rureifel meinten mit spiralförmigen „Ruhebänken“ mal das etwas andere Rastmöbel aufstellen zu müssen. Bequem sind sie leider nicht.
Die letzten Kilometer dieser Etappe verlaufen unspektakulär. Leider einige hundert Meter entlang verschiedener Neubaugebiete oberhalb von Gemünd, bevor es endlich in den Kernort hinab geht. „Helferzentrum“ steht auf einem Transparent am Kreisverkehr in Höhe des Amtsgerichtes, und „Danke“ später über dem Portal der katholischen Pfarrkirche St. Nikolaus. Es richtet sich an die Flutopferhelfer und -helferinnen nach dem Jahrhunderthochwasser im Juli 2021.
Titelbild: Urfttalsperre
INFO: https://www.nationalpark-eifel.de/de/nationalpark-erleben/wildnis-trail/
