Mann für morgen

Diese Jobbeschreibung gibt es in Deutschland selten. In Nettersheim schon: Jochen Starke ist der „Leiter des Zukunftsbüros“ der „Eifelgemeinde“.

20 Jahre ist das  nun schon  her. „Ich war Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Berufsbildender Schulen in Nordrhein-Westfalen. Die Idee 1998 war, ein vom Land finanziertes ‚Bildungshaus‘ einzurichten. An einem Standort mit landesweiter Ausstrahlung“. Jochen Starke hat oft solche „Ideen“, die für Normalsterbliche eher nebulös klingen. Für ihn nicht! Also machte sich der gebürtige Ostwestfale, der lange Jahre in Köln eine Druckerei hatte, an die Arbeit: Er schrieb Kommunen in NRW an, gezielt auch im ländlichen Raum. Und erntete lauter Absagen. In Nettersheim nicht. Das hat eine Vorgeschichte.

Hier hatte 1998 das „Holzkompetenzzentrum“, ein Anbau zum „Naturzentrum Eifel“, am Urftufer eröffnet. Und schon seit den 1970er Jahren hatte man die reichen fossilen und insbesondere archäologischen – römischen – Funde im Gemeindegebiet als auch für den Tourismus wichtigen Schatz entdeckt. Hier war man daran interessiert, kulturelle Traditionen,  Umweltbewusstsein, Bildungsangebote, Tourismus, später auch Nachhaltigkeit beim Bauen und die Nutzung alternativer Energien zu verbinden.

Bürgermeister Wilfried Pracht.

Denn Nettersheim musste wie viele Eifelgemeinden versuchen, den Strukturwandel im ländlichen Raum zu meistern. Und dafür braucht es gute Köpfe. Vor allem auch gut zu möglichen Zuschuss- oder Fördermittelgebern bei der Bezirks- und Landesregierung bis zur Europäischen Union vernetzte Köpfe.

Dass daraus 2005 der „Leiter des Zukunftsbüros“ wurde,  das sei ihm damals noch nicht klar gewesen, meint Bürgermeister Wilfried Pracht. Aber diesen „Ideen-Mann“, der in Köln lebt, den wollte er für seine „Eifelgemeinde“ haben. Er siedelte ihn an der Schnittstelle zu vier Fachbereichen der Verwaltung an. Synergien schaffen, lautete die Devise. Eine halbe Stelle im Personalplan der 7800-Einwohner Gemeinde. Da haben sich Gleichgesinnte in Rat und Verwaltung von Nettersheim gefunden.

Seitdem  arbeitet Jochen Starke vor allem hinter den Kulissen. Wenn er sich vorstellt, etwa bei Veranstaltungen der von ihm mit initiierten und von der Gemeinde mitbegründeten „LitEifel“, denkt man ungläubig:  Leiter des Zukunftsbüros? Science Fiction in der Eifel?

Gerade nicht. 2010 wirkte der „Mann für morgen“ im Rahmen der landesweiten „Regionale“ an der Gründung des „Archäologischen Landschaftsparks“ mit. 2007 wurde Nettersheim als „Bundeshauptstadt im Naturschutz“ für umgesetzte Konzepte zu nachhaltigem Naturschutz und Landwirtschaft, 2011 als „Biodiversitäts-Hauptstadt“ in der Kategorie Kommunen unter 10.000 Einwohnern ausgezeichnet. Seit 2012 hat sich die Gemeinde ein Klimaschutzkonzept zugelegt, das etwa mit der Energieagentur Eifel des Kreises Euskirchen Bauherren berät. In diesem Jahr wurde die Gemeinde Bundessieger unter den kleineren Kommunen beim „Deutschen Nachhaltigkeitspreis“. Der „Zukunftsberater“ war für alles das mitverantwortlich.

Auch als es um die Beantragung von Fördergeldern für die Erweiterung des „Familienzentrums“ am Nettersheimer Kindergarten zum „Forum Nettersheim“ ging. Vor einem Jahr gab es dafür von der Regierungspräsidentin in Köln den Förderbescheid über 1,167 Millionen Euro, 90 Prozent der veranschlagten Kosten, aus dem Landesprogramm „Soziale Integration im Quartier“. Geplant ist eine Bildungsstätte speziell für Familien aus den 15 Orten der Gemeinde.

Erfolgreiche Idee:: Das Naturzentrum in Nettersheim bietet auch für Kinder und Jugendliche viele Bildungsangebote an.

So hat Jochen Starke, der „Zukunftsberater“, die Idee eines „Bildungshauses“ von vor 20 Jahren auf Umwegen und mit anderer Zielsetzung doch noch umgesetzt. Und in Nettersheim entsteht so langsam ein ganzes Ensemble von Einrichtungen im Sinne eines ganzheitlichen Konzeptes: Nachhaltigkeit und Naturkunde im „Naturzentrum“ und dem „Holzkompetenzzentrum“, Literatur im „Literaturhaus“, Kunst im „Kuba“, dem alten Bahnhofsgebäude, dazu das künftige „Forum Nettersheim“. Die identitätsstiftende Arbeit von 75 Vereinen zum Erhalt der Traditionen und des dörflichen Zusammenhalts im Gemeindegebiet nicht zu vergessen!

Für Jochen Starke ist das von der Jobbeschreibung her gesehen aber alles schon zu viel Gegenwart. Ihn beschäftigt, was erst noch werden soll. Im leer stehenden alten „Kloster“ von Nettersheim sollen Gäste neue Übernachtungsmöglichkeiten und eine Hotellerie finden. Auf dem drei Hektar großen Gelände dahinter könnten kleine, komfortable Ferienhäuser gebaut werden. „Glamping“ heißt das Konzept. In der Nettersheimer Variante sind alle Häuschen nachhaltig aus Holz und werden mit regenerativen Energien versorgt.

Die Römer im Archäologischen Landschaftspark von Nettersheim, unweit des Gallo-römischen Umgangstempels oberhalb der einstigen römischen Siedlung „Marcomagus“.

Auch die Technische Hochschule Köln hat Starke gerade zusammen mit der Verwaltung – wie viele Forschungs- und Bildungseinrichtungen zuvor – vom Sinn einer Zusammenarbeit mit der „Eifelgemeinde“ überzeugt. Ein „Umwelt-Lab“ soll Hochwasserschutzmaßnahmen für Dörfer am Genfbach untersuchen und die Pläne mit den Auflagen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie abgleichen.

Der aus öffentlichen Mitteln bezahlte Impulsgeber wirkt ungerührt. Er alleine könne da wenig, meint Jochen Starke. Er brauche die Unterstützung der Fachleute, von Verwaltung und Gemeinderat. Dabei ist der 70-Jährige eigentlich seit 2014 Rentner. Egal, er baut einfach weiter mit an Nettersheims Zukunft.

Für seinen  Bürgermeister ist diese Entscheidung ein Segen. Wilfried Pracht empfiehlt einen „Zukunftsberater“ im kommunalen Personalplan gerne weiter. „Meines Wissens gibt es das in ganz Deutschland aber in dieser Form nur noch in wenigen Kommunen“, ist er nach wie vor überrascht. „Wir haben die Planstelle damals einmütig beschlossen.“ Und das, obwohl der Gemeindehaushalt auch von Nettersheim alles andere als ein Goldesel ist.  Doch diese Investition in die Zukunft hat sich für Wilfried Pracht schon lange ausgezahlt.