Matsch und Morast. Wer zu „Sheriff Harry“ will, sollte selbst im Sommer leichte Sneakers oder Ähnliches zu Hause lassen und sich für Gummistiefel entscheiden. Und man muss den vermutlich letzten Cowboy der Eifel ja überhaupt erst einmal finden.
Nur ein verwitterter Briefkasten aus Holz am Parkplatz vor dem Steinbruch bei Niederehe deutet darauf hin, dass am Ende eines schmalen Waldweges mehr ist als das mit Warnschild zuvor angekündigte Wasserschutzgebiet. Und dann steht man nach einer Linkskurve plötzlich vor einem Holztor. Alte Holzräder als Dekoration, schwere Balken: „Rodeo Ranch“ behaupten Holzbuchstaben unter dem Querbalken darüber. Im Hintergrund flattert auf einem Schuppen die „Lone-Star“-Fahne des Bundesstaates Texas im Wind, an der Seite mehrere Verschläge und weitere kleine Hütten, ein Zeltplatz, davor die Pferdekoppel. Auf lautes Rufen und Pfeifen öffnet sich die Schuppentür: „Komm einfach her, aber pass mit dem Matsch auf der Wiese auf!“

Der Mann, der einen so begrüßt, wirkt freundlich, offen, ohne jedes Misstrauen. Er ist 87 Jahre alt. Kein Gramm Fett, wache Augen, und gekleidet wie ein Cowboy. Er trägt Lederhosen, Stetson, auf der wärmenden Weste prangt ein Stern: „Sheriff“. Doch das hier ist keine Filmkulisse. Sheriff Harry lebt sein Cowboy-Leben in der Eifel. 1970 kaufte er 30.000 Quadratmeter des abgeschiedenen Wiesentals.
Vor 37 Jahren baute er sich hier sein Zuhause. Jetzt bittet er in Wohnzimmer-Schlafraum-Küche – in einem Raum. Chaos – aber bei genauem Hinsehen hat alles seinen Platz. Lederzeug hängt am Eingang am Haken, die Schlafkoje ist in der Ecke, ein kleiner Tisch vor dem Ofen, ein Waschbecken, zwei abgewetzte Stühle, an der Decke LED-Leuchten. Er hat kein Radio, kein Fernsehen. „Ich lebe anders als ihr“, meint der Cowboy, „und ich lebe gut.“
Harry, sein Nachname tut für ihn nichts zur Sache, kam damals mit seiner Frau aus Köln in die Eifel. Sie war mehrfach lungenkrank, die Landluft tat ihr gut. Das Paar hat eine Tochter in Köln und Harry einen erwachsenen Enkel. Zunächst wohnten beide in Kerpen, doch als Harry 1970 von einem Bauern das Angebot erst zur Pacht dann zum Kauf des Geländes im Nollenbachtal bekam, hat er nicht gezögert. Er zog um, seine Frau blieb bis zu ihrem Tod 2001 im nahen Dorf. In seinem Vorleben war Harry Schreinermeister, aus der Zeit bezieht er den wesentlichen Teil einer kleinen Rente. Er ist Vegetarier, trinkt und raucht nicht. Strom für warmes Wasser liefert ihm eine kleine Solaranlage draußen vor der Tür auf einem Pfahl. Trinkwasser holt er sich aus einem Brunnen in Kerpen, für den nahenden Winter wie immer auf Vorrat in Kanistern und Bottichen.
In den Sommermonaten habe er wöchentlich mehr als 50 Besucher, meint Harry. Eintritt nimmt er für seine kleine Welt nicht. Familien kommen dann zum Cowboy, die Kinder sind begeistert vom Indianer-Wigwam auf dem Gelände, die Eltern gehen vielleicht in den kleinen Saunaverschlag mit dem Wassereimer am Kettenzug für das Kaltbad neben der Feuerstelle. Wer bleiben will, kann auf dem Gelände zelten, oder im „13-Sterne-Hotel“ übernachten. Eine Fahne der ehemaligen amerikanischen Südstaaten über der „Hoteltür“ erklärt das Rätsel. Tatsächlich ist die Herberge ein kleiner Schuppen, ausgestattet mit Etagenbett, einem kleinen Tisch mit Zwei-Platten-Herd – und schlicht urgemütlich.
Doch jetzt naht der Winter, und Gäste sind eher selten. Fühlt sich Harry nicht allein? „Ich bin Optimist, Realist und immer gut drauf“, meint er, und: „Manchmal, wenn ich nachts wach werde, denke ich: Warum bist du hier? Ich weiß die Antwort. In Köln wäre ich nie 87 geworden“. Harry ist vielleicht allein, doch einsam? Nein. Der 87-Jährige Eifel-Cowboy hat viele Freunde, Menschen, die ihm Gutes tun wollen: Lebensmittel, Geschenke, eine Webseite. Mit ihm tauschen würden sie nie. Er versichert: „Mir fehlt nichts“. Nur das Reiten hat er mit 85 aufgegeben. Da ein Cowboy aber reiten muss, hat er sich vorgenommen: „Mit 100 fange ich wieder an!“
So weit ist es nicht mehr gekommen. Vor zwei Jahren ist Harry, der letzte Sheriff der Eifel, gestorben.
