„Für einen Moment alles vergessen!“

Es war ihr „Herzenswunsch“: Zwei an tödlich verlaufenden Krankheiten leidende Frauen aus Krefeld sind im Fallschirmtandem aus knapp 2000 Metern Höhe über der Dahlemer Binz abgesprungen. Ein Hilfeverein aus Krefeld hat den besonderen Tag in der Eifel für die beiden Frauen ermöglicht.

„Sie ist ein starkes Mädchen!“ Rilindje Berisa will ihre Tränen zurückhalten. Es gelingt ihr fast. Hinter ihr rollt gerade die einmotorige Cesna Caravan, ein „Absetzflugzeug“ mit 14 Plätzen, auf die Startbahn der Dahlemer Binz zu. Ihre Tochter ist an Bord. Es ist kurz nach 13 Uhr, der Himmel ist sommerlich blau-weiß mit gestaffelten Schönwetterwolken, die Sonne lacht, eine leichte Brise weht.

An diesem Sommertag soll hier einer der letzten Wünsche ihrer Tochter Leonita in Erfüllung gehen: „Einmal Fallschirm springen, das wollte ich schon als Kind!“ Leonita ist erst 16 Jahre alt und hat ein normales Leben schon nicht mehr vor sich. Die Jugendliche sitzt im Rollstuhl. Sie ist an der seltenen, tödlich verlaufenden Erbkrankheit Friedreich-Ataxie erkrankt, einer degenerativen Erkrankung des zentralen Nervensystems.

Leonita (links) und Katrin aus Krefeld leiden an unheilbaren Krankheiten. Und sie hatten den gleichen Herzenswunsch: Einmal mit dem Fallschirm abspringen.

Und deshalb ist Leonita, gestützt von Helfern, aus dem Rollstuhl heraus und die wenigen Stufen in die Cessna hinein gestiegen. Ihre Mutter hat sie vor dem Start noch einmal in den Arm genommen, ihr starkes Mädchen.

Leonita vor dem Start.

„Noch im Februar, als Leonita bei uns ein Schulpraktikum machte, war es viel besser. Seitdem hat sich der Zustand deutlich verschlechtert.“ Judith Faust vom Gerhard Tersteegen Haus in Krefeld, einem Alten- und Pflegeheim des Neukirchener Erziehungsvereins in Neukirchen-Vluyn, bewundert die 16-Jährige. Sie und ihr Team haben zwei Frauen, die an tödlich verlaufenden Krankheiten leiden, vom Niederrhein zur Skydive Binz gebracht. Beide wollen mit dem Fallschirm springen. Ihr Herzenswunsch. Eine davon ist Leonita.

Zwei Frauen aus fast zwei Generationen hat das gemeinsame Schicksal zusammengeführt.

Der Teenager im Rolli wurde vor dem Start von Björn Stürz, Tandempilot und spezialisiert auf Fallschirmsprünge mit Menschen mit Behinderung, eingewiesen. Sie trägt das Gurtzeug und die Flugkleidung für den Sprung. Der Flugprofi hat den Verein „Freifallhelden“ im Westerwald gegründet. Vor allem schwerstkranken Kindern hilft Stürz, sich einen Wunsch wie ihn auch Leonita hat, zu erfüllen. Er springt mit ihnen ab. Auf der Dahlemer Binz hat Freifallhelden bei SkydiveBinz einen Stützpunkt.

Auch Katrin Sickert hatte diesen Traum. Sie ist 50, ebenfalls auf den Rollstuhl angewiesen. Sickert leidet an Multipler Sklerose und lebt im Krefelder Pflegeheim, wo sie Leonita bei ihrem Praktikum kennengelernt hat.  Zwei Frauen aus fast zwei Generationen, die dankbar sind, dass ihnen möglich gemacht wird, was einer ihrer Träume war. Jetzt, wo es vielleicht die letzte Chance ist.

Meta Metz

Knappe 15 Minuten benötigt die Cessna bis auf 4000 Metern Höhe. Leonita, zuvor Katrin, wissen, was sie zu tun haben. Björns Kommandos beim Ausstieg aus dem Flieger werden knapp und klar sein.  50 Sekunden dauert der freie Fall, bevor der Schirm in noch 1800 Metern Höhen sich öffnet und ein zehnminütiger Gleitflug vor der Landung folgt.

Unterdessen wartet am Eingang zur Landewiese bei der Go-Cart-Bahn unterhalb des Flugfeldes der Dahlemer Binz das Ermöglicher-Team: Judith Faust vom Gerhard Tersteegen Haus, Wolfgang Klein von SkydiveBinz ist dabei, dessen Fallschirmschule öfter Ort für die Umsetzung der besonderen  Wünsche ist – und Meta Metz.

„Sonne, Mond und Sterne“ ermöglicht auch den Stadionbesuch oder die Fahrt ans Meer.

Metz gründete 2002 den Verein „Sonne, Mond und Sterne“ in Krefeld. Sie lächelt. Gleich zwei Herzenswünsche wurden auch dank ihrer Hilfe erfüllt. Das gelingt „Sonne, Mond und Sterne“, der bundesweit seine Dienste anbietet, immer wieder. Die Diagnose der Patienten und Patientinnen muss vorliegen, auch ein Nachweis der Einkommensverhältnisse. „Denn wir helfen nur den wirklich Bedürftigen!“ stellt Metz fest.

Und sofern es ihr Spendenkonto und die Mittel etwa von Palliativzentren, Hospizen oder eben Alten- und Pflegheimen wie dem Gerhard Tersteegen Haus erlauben: Ein Stadionbesuch beim Lieblingsfußballverein, eine letzte Reise ans Meer  – das gehe schon, und auch schnell. Darauf legt Metz großen Wert.

Katrin kurz vor dem Absprung im Tandem mit Fluglehrer Björn Stürz. Foto: Björn Stürz

Leonita landet kurze Zeit später sanft auf ihrem Gesäß auf der Wiese. Genau so hatte es ihr Fluglehrer Björn Stürz im Tandem vorhergesagt. Die 16-Jährige wirkt gefasst. Aber sie strahlt. „Das Herausspringen war das Schönste! Ich habe mich so riesig darauf gefreut. Ich hatte mir gewünscht, dass man einfach alles vergisst. Für einen Moment.“ Leonita wird auf ihrem Instagram Account „Leonita.75“ ihren Followern erzählen, was sie erlebt hat. Ihre Mutter ist einfach nur erleichtert.

„Sie ist ein starkes Mädchen!“ Rilindje Berisa mit ihrer Tochter Leonita und Tandempilot Björn Stürz kurz nach der Landung.

Als Katrin eine Stunde zuvor wieder auf der Erde angekommen war, auch ihr Sprung mit Björn Stürz verlief problemlos, wirkte sie in sich gekehrt. „Ich dachte vorher, dass es bestimmt unheimlich ist, beim Absprung aus dem Flugzeug nach unten zu schauen“, meint sie nachdenklich. Doch dann hat sie nach dem sanften Schub ihres Tandempartners aus der Luke für diesen Sekundenbruchteil einfach die Augen geschlossen und dem Profi in ihrem Rücken vertraut. Jetzt ist sie dankbar und „so froh, dass ich das wirklich gemacht habe.“

Für Leonita und Katrin ist das Erlebte wie ein kleines Wunder. Die beiden so unterschiedlichen Frauen, die das Schicksal im Rollstuhl und die Gewissheit teilen, dass ihr Leben ein verkürztes Ende finden wird, haben die besondere Freiheit erlebt, die für sie bisher nur ein Traum war. „Ich fühlte mich schwerelos wie ein Vogel“, lächelt Katrin Sickert. Dieses Gefühl wird ihr niemand nehmen.

Titelbild: Leonita bei ihrem Tandemfallschirmsprung mit Fluglehrer Björn Stürz. Foto Björn Stürz