„Wildnis-Trail“ und Nationalpark (1)

Über vier Etappen und 85 Kilometer verspricht der „Wildnis-Trail“ von Monschau-Höfen bis Zerkall an der Rur, quer durch den Nationalpark Eifel, den Naturfreunden und Wanderbegeisterten den Nachvollzug des Wandels alter Wirtschaftswälder und eines aufgelassenen Truppenübungsplatzes zum „Naturwald“. Jeden Tag ein bisschen mehr Wildnis. „Entwicklungsnationalpark“ nennt man das. Hört sich kompliziert an. Hoffentlich leidet unter so viel Anspruch nicht das Wandervergnügen.

Natürlich ist es hier schön! Es ist früh am Morgen, man ist die ersten Meter vom Nationalpark-Tor in Monschau-Höfen einen bergab führenden Pfad entlanggewandert. Der Pfad ist gesäumt von Buchenhecken mit Durchwächsern, wie sie für den Wind- und Wetterschutz im „Monschauer Heckenland“ typisch sind. Höfen selbst, 1987 und 2001 Bundessieger im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden – unser Dorf hat Zukunft“ ist ja ohnehin schon pittoresk genug. Bis zu sechs Meter hoch können die dichten Schutzhecken aus Hainbuchen werden, die die teilweise noch mit Reet gedeckten alten Höfe wie eine grüne Mauer umstehen. Kleine Öffnungen haben die Besitzer ins Grün geschnitten, damit durch die Fenster dahinter wenigstens ein bisschen Tageslicht fällt.

Morgenstimmung im Fuhrtsbachtal

So beginnt die 1. Etappe des 85 Kilometer langen „Wildnis-Trails“, der in vier Etappen über 1891 Meter bergauf und 2251 Meter hinab von Höfen im südlichen Zipfel des Nationalparks Eifel Richtung Nordosten, nach Zerkall an der Rur führen wird. 85 Kilometer, das ist eher eine kürzere Strecke unter den zahlreichen Weitwanderwegen, die es in der Eifel gibt. Doch dieser hier führt ausdrücklich durch ein von Landesverordnungen geschütztes Sondergebiet. Der einzige Nationalpark Nordrhein-Westfalens wurde 2004 gegründet und ist rund 11.000 Hektar groß. 2007 wurde der „Wildnis-Trail“ eröffnet.

Alles klar geregelt: Große Hinweistafeln entlang des Weges erläutern Ge- und Verbote.

Man muss das alles als Wanderer nicht unbedingt am Start der 23,3 Kilometer langen 1. Etappe wissen. Es ist ja ohnehin unübersehbar. An zahlreichen Punkten entlang dieser viertägigen Route stehen die großen Hinweistafeln, die klar machen, was im Nationalpark alles nicht erlaubt und was erwünscht ist. Für die, die gerne in der Eifel wandern und dabei ganz normal achtsam sind, dazu ein auch durchschnittlich ausgeprägtes Naturschutzbewusstsein haben, sind da Selbstverständlichkeiten aufgelistet.

Heide im Perlbachtal, Vorstau zur Perlbachtalsperre, Bank am Wegesrand.

Doch zunächst vergisst man so viel landesbehördliche Aufsicht – die Nationalparkverwaltung in Gemünd ist dem Landesbetrieb Wald und Holz in Münster hoheitlich unterstellt – und freut sich über die letzten hauchzarten Dunstschleier, die gerade noch über dem Einlauf des Perlbachs in die Talsperre liegen. Eine Insel mit Röhricht hat der Perlbach aus Sedimenten und Kiesel gebildet, ob man im Wasserlauf heute wieder die kleinen Muscheln finden kann, die es hier einmal gab? Es wäre auch ein Hinweis auf die Güte der Wasserqualität, ähnliches gilt für den Fuhrtsbach, der bald danach passiert wird.

Aus Sicht der Nationalpark-Chefdenker ist man hier allerdings nicht nur in einer Idylle, die im Frühjahr zur Wildnarzissenblüte tausende Besucher anlockt. Sondern in einem Problembereich. An den Talrändern stehen dichte Fichtenwälder, sogenannte Altersklassenwälder, wie überall in der Eifel einst als Wirtschaftsbaum angepflanzt. Fichte wächst schnell, ihr Holz ist als Baumaterial oder für die Möbelherstellung gut geeignet.

In Talauen wie hier unterhalb von Wahlerscheidt werden die Fichten großflächig entnommen. Es entstehen neue, standorttypische Pflanzengemeinschaften.

Seit den 2010er Jahren hat man im „Naturschutzgebiet Perlbach-Fuhrtsbach“ ein Entfichtungsprogramm begonnen: In den Talsohlen wurden die Bäume gefällt, es entstanden Mähwiesen, Standorte für Pflanzenarten, die hier nicht mehr gewachsen waren. Entfichtungsprogramme gibt es auch an anderen Stellen vor allem im südlichen Teil des Nationalparks. Was der einzelnen vorher verschatteten Pflanze nun mehr Licht bringt und insgesamt die ökologische Vielfalt erhöht, ist einem übergeordneten Ziel geschuldet, dessen Auswirkungen man so auch entlang des „Wildnis-Trails“ gut beobachten kann: Buche ja, Fichte nein!

„Nationalparke haben den gesetzlichen Auftrag, Ausschnitte aus der Natur zu bewahren, die typisch sind für Großregionen in denen sie vorkommen. Das natürliche Landschaftsbild in Mitteleuropa ist auf charakteristische Weise von Wäldern geprägt, in denen die Rotbuche die dominierende Baumart ist. Diese Waldform würde in Mitteleuropa vorherrschen, wenn die Landschaft vom Menschen unbeeinflusst wäre, daher dient der Nationalpark Eifel dem Schutz von Laubmischwäldern, in denen die Buche dominiert.“ So klar und kompromisslos ist das mehrfach im – grundsätzlich sehr empfehlenswerten – „ThemenTouren“-Führer der Nationalparkverwaltung für den „Wildnis-Trail“ nachzulesen.

Der Wanderparkplatz Wahlerscheidt

Ein solcher Ansatz kann nicht auf begeisterte Zustimmung von Forstwirten in der Eifel stoßen, die  aus Kommunalwäldern oder für die Besitzer von Privatwäldern Erlöse aus der Hozfällung erzielen sollen. Für sie ist ein Wald auch ein Wirtschaftsfaktor.

In einem mit erheblichen staatlichen Mitteln subventionierten Schutzgebiet kann man diesen Aspekt vernachlässigen und soll es ja auch. Man könnte einwenden, dass die hier in Gang gesetzte Rekonstruktion des „Naturwaldes“ ahistorisch ist, denn die Kulturlandschaft Eifel hat sich seit Jahrhunderten dynamisch verändert.

Am Wüstebach


Doch nun geht es weiter auf dem „Wildnis-Trail“, aus den Tälern hinaus und hoch zum heutigen Wanderparkplatz „Wahlerscheidt“. Am 13. und 14. Dezember 1944 war die Gemarkung, benannt nach einem hier damals stehenden Bauernhof, wegen der strategisch großen Bedeutung der vorbeiführenden Straße heftig zwischen der anrückenden US-Armee und der Wehrmacht umkämpft.

Das erfährt man auf einer Informationstafel, die auf dem Parkplatzgelände steht. Wahlerscheidt ist eine Station des deutsch-belgischen „Weg des Gedenkens“, einem 2015 eröffneten 95 Kilometer langen Rundweg zu markanten Schauplätzen des Kriegsgeschehens.

Windwurfflächen und Parzellen des zusammenbrechenden Fichtenwaldes, die vom Borkenkäfer stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, werden entlang des Weges jetzt häufiger. Zum einen haben die Orkane Kyrill und Sabine 2007 und 2020 hier gewütet, dann kamen die drei Dürrejahre 2018-2020. Die so geschwächten Fichten wurden schließlich massenhaft vom Schadkäfer befallen. Die Fichten mussten gefällt, das Holz schnell aus dem Wald herausgeschafft werden, um eine Infektion benachbarter Waldbestände zu verhindern.

Eichen und Buchen allerdings – das stützt die erwähnte „Naturwaldstrategie“ der Nationalparkverantwortlichen – blieben bisher weitgehend von allem verschont. Ihre Wurzeln reichen tiefer als die der Nadelbäume, sie sind so widerstandfähiger gegen Trockenheit und Käferbefall.

Wo Fichten aus welchem Grund auch immer entnommen werden, werden sie im Nationalpark nicht mehr angepflanzt, sondern Buchen und andere standorttypische Laubbäume, auch als Unterpflanzung gelichteter Nadelbaumbestände. Beides sieht man jetzt auf dem „Wildnis-Trail“.

„Schön und wild“ – so soll der Wildnis-Trail möglichst häufig sein. Am Wüstebach stimmt der Anspruch mit der Realität überein.

Auch durch diese Maßnahmen werde der erst 17 Jahre alte Nationalpark Eifel „jeden Tag ein kleines Stückchen wilder“, meint Michael Lammertz, stellvertretenden Leiter und „geistiger Vater“ des „Wildnis-Trails“.

Schön wild in diesem Sinne ist auf der 1. Etappe nun der schmale Pfad, der entlang des Wüstebachs hinunter ins Schluchttal des kleinen Fließgewässers führt. Er habe „einige Kämpfe“ mit Interessenvertretern bestehen müssen, um solche Passagen in die Route aufnehmen zu können, seufzt Michael Lammertz im Nachhinein.

Aus dem Tal des Wüstebachs heraus wird später der „Schöpfungspfad“ erreicht. Biblische und weltliche Sinnsprüche auf Drehtafeln sind einige hundert Meter lang aufgestellt. Mit Erreichen der nächsten Höhenlinie hat sich die Vegetation deutlich verändert: Ausläufer der Dreiborner Hochfläche  mit Ginsterbachen und Offenlandstruktur. Einige Minuten später biegt der „Wildnis-Trail“ allerdings wieder talwärts ab ins Waldgebiet „Hirschrott“. Es geht in einer langen Traverse weiter bergab bis zur „Waldkapelle“, eine Marienwallfahrtsstätte oberhalb der Siedlung Erkensruhr-Hirschrott.

Natur- und Wildschutz im Dedenborner Wald.

Und dann wird es jenseits des Tales sportlich. 80 steile Höhenmeter gilt es zu überwinden bis auf den Höhenkamm der Ausläufer des Dedenborner Waldes. Hier oben steht als Lohn der Strapazen eine Wanderhütte und ein Hinweisschild: „Naturwaldparzelle“.

Drei solcher „Zellen“ liegen im heutigen Nationalpark Eifel, in Kerngebieten, die „seine Vorläuferschutzgebiete waren und deren ökologische Ausstattung die Gründung des Nationalparks erlaubten“, heißt es im Wanderführer dazu.

Waldkapelle oberhalb von Hirschrott.

Der Dedenborner Wald ist nicht von ungefähr so vorbildhaft: Mächtige alte Buchen wachsen hier, die offenbar die verschiedenen Rodungswellen in der Geschichte der Eifel unbeschadet überstanden haben.  Eine solche „Natuwaldzelle“ ist eine Art Mini-Urwald per Definition: Hier liegt jede Mange Totholz, inklusive der für die Qualifizierung auch wichtigen „Totholzkäferarten“.  In der „Zelle“ oberhalb von Erkensruhr-Hirschrott wurden 143 verschiedene Käferarten gezählt, von denen 25 auf der „Roten Liste“ der bedrohten Arten stehen.

Aus der „Naturwaldzelle“ wurde mit Gründung des Nationalparks der „Prozessschutzanteil“ an der Gesamtfläche, also der Teil, in dem die Natur wieder Natur werden darf – ohne menschliches Eingreifen. „Aktuell liegen wir bei 58 Prozent, wir wollen auf 87 Prozent erhöhen“, so Michael Lammertz. Die restlichen 13 Prozent sind die zu mähenden Wiesen im Monschauer Land und die Rurseen.

Hierhin geht es jetzt erst durch den Buchenwald, dann Hangeichen auf felsigem Untergrund und zuletzt steil hinab. Tagesziel dieser ersten abwechslungsreichen Etappe auf dem „Wildnis-Trail“ ist Einruhr am Obersee.

Blick auf den Obersee und Einruhr.

Titelbild: Rotbuchenhecke in Monschau-Höfen.
INFO: https://www.nationalpark-eifel.de/de/nationalpark-erleben/wildnis-trail/