Ein „Freistaat“ und „Germania“

Rheinsteig: die letzten beiden Etappen im UNESCO Welterbe führen über Lorch und Assmannshausen nach Rüdesheim. Oberhalb der Nahe-Mündung am „Binger Loch“ ist das Obere Mittelrheintal spektakulär durchwandert.

Gleich fünf große Rheinburgen – allesamt allerdings nicht mehr original, sondern im 19. Jahrhundert rekonstruiert oder erweitert – säumen die letzten beiden Etappen durch das Obere Mittelrheintal zwischen Kaub, Lorch, Assmannshausen und dem „Mäuseturm“ am „Binger Loch“. 13,6 und 24 Kilometer lang sind die beiden Tagestouren, die bei Lorch geteilt sind.

Burg Pfalzgrafenstein, die Kauber Werth und Buhnen rheinaufwärts.

Wie schon an einigen Tagen zuvor gilt auch in diesem Fall: Wanderroutine und gute Fitness vorausgesetzt, dann gutes Wanderwetter und ein Start bei Sonnenaufgang: So kann man die knapp 37 Kilometer auch an einem Wandertag schaffen. Beide Etappen gelten als mittelschwer, zwar mit einigen Anstiegen, aber auch schönen Ausblicken. Beides ist im Oberen Mittelrheintal immer zu erwarten.

Bacharach mit Burg Stahleck.

Von Kaub geht es in der ersten Stunde zunächst stetig hinauf von 79 auf 290 Meter, doch diese Höhenmeter verteilen sich gut. Oberhalb der Burg Gutenfels wendet sich der Rheinsteig zunächst mit einem Schlenker durch den Staatsforst Nastätten vom Rhein weg, später geht es wieder zurück zum Strom. Vom „Kauber Blick“ hat man dann noch einmal einen letzten schönen Blick auf Kaub mit der Burg Pfalzgrafenstein im Rhein und den verbauten Buhnen. Die unter der Wasseroberfläche liegenden Steinwälle regulieren die starke Strömung zwischen Bingen und St. Goar/St. Goarshausen.

Wenig später ist Bacharach mit der Burg Stahleck – heute Jugendherberge – ebenfalls eine lohnende Perspektive am gegenüberliegenden Rheinufer. Es folgt eine kleine Perlenkette schöner Rheinburgen mit Burg Hoheneck (auch Heimburg genannt) bei Niederheimbach, Burg Sooneck und Burg Reichenstein vor und hinter Trechtingshausen, schließlich Burg Rheinstein unterhalb von Assmannshausen.

Weinberge mit Lorcher Werth, rheinabwärts.

Schon bald ist im Verlauf eine erste von mehreren Demarkationen an diesem Wandertag erreicht. Es geht hinab ins Niedertal. Seit Jahrhunderten verläuft hier, zwischen Kaub und Lorch, eine Grenze. Die beiden „Mainzer Räder“ an einem offenbar neueren Grenzstein an einem Wetterschutzkasten deuten auf das Betreten des einstigen Herrschaftsbereichs des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten hin. Im Niedertal beginnt aber auch der Taunus und im Prinzip das Weinbaugebiet Rheingau. Und hier verläuft auch die Bundeslandgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen.

„Freistaat Flaschenhals“-Wappen in Lorch.

Wenig später betritt man – erkennbar an einem rot-weiß markierten Grenzpfahl am Wegesrand – ein Kuriosum: Der „Freistaat Flaschenhals“ war für kurze Zeit nach dem 1. Weltkrieg, genauer zwischen dem 10. Januar 1919 und dem 25. Februar 1923, exterritoriales Gebiet. Zwischen Kaub, dem Ort Sauerthal und Lorch hatten die Alliierten eine Grenzziehung ihrer Herrschaftsbereiche zwischen Mainz und Koblenz schlicht übersehen.

Es gab sogar eine Notwährung für den „Freistaat“.

Die Folge: Nur über Schmugglerpfade durch den Wald konnte die Bevölkerung versorgt werden. Ein Güterzuglokomotivführer, der seinen Zug auf der Rheinstrecke zwischen Kaub und Lorch stoppte, um das illegale Entladen von Kohlebriketts für die Öfen in den Wohnhäusern zu ermöglichen – in Köln nennt man das „fringsen“ – verlor seinen Job. Es hat sogar ein eigenes Notgeld für den „Freistaat Flaschenhals“ gegeben.

Weiter geht es auf dem Rheinsteig Richtung Lorchhausen auf der Höhe an Weinbergen entlang, dann über einen steilen Trampelpfad hinab nach Lorch, bekannt durch seine Fachwerkarchitektur. In Lorch sind die Balken des Gefaches ochsenblutrot gestrichen.

Der „Teufelskadrich“-Geröllhang scheint permanent in Bewegung zu sein.

Bevor als nächstes Zwischenziel Assmannshausen erreicht ist, liegt der „Teufelskadrich“ im Weg.  Der Name bezeichnet riesige eiszeitliche Geröllfelder über 380 Hektar, Teil des Naturschutzgebietes „Natura 2000“. Die bis zu 300 Meter steil abfallenden Hänge zum Rhein sind hier voller Felsköpfe und Stein- und Blockschutthalden. Die Felsen werden, so eine erläuternde Texttafel am Wegesrand, von sauren Quarziten aufgebaut, die von säureliebenden Pionierpflanzen besiedelt werden. Eine unwirkliche Landschaft, nur niedrig bewachsen. Man hat das Gefühl, dass die Hänge permanent in Bewegung sind.

Aussichtspavillon zwischen Lorch und Assmannshausen.

Oberhalb von Assmannshausen ist dann ein zweiter steiler Trampelpfad durch den Bannwald den Berg hinab zu passieren. Er wird zunehmend anspruchsvoller, schließlich mit Seil gesicherter Passage hoch auf den Fels. Wenig später steht man beim Austritt aus dem Wad unvermittelt auf einem Wendeplatz der Winzer für ihre Trecker. Ein paar Serpentinen später, das idyllische Assmannshausen und der Rhein sind fast immer im Blick, steht an einer gewaltigen Stützmauer der Name des Weinbergs: „Assmannshäuser Höllenberg“ – unter Pinot-Fans ein Begriff.

Wer – wie Eifelschreiber – nach der Pause in Assmannshausen davon überzeugt ist, dass man es kurz einfacher haben könnte, wählt für den allerletzten Anstieg im Oberen Mittelrheintal nicht die enge Straße hoch zum Jagdschloss Assmanshausen im Niederwald, sondern die kurze Seilbahn. In Gondeln schwebt es sich entspannt den Berg hinauf, das tut einfach gut.

Der „Rossel“ ist prototypisch für die Inszenierung der „Rheinromantik“.

Oben angekommen tritt man in den von Karl Maximilian Graf von Ostein, ein Neffe des Mainzer Erzbischofs, 1764 angelegten Osteinschen Park im Landschaftspark Niederwald ein. Der Park hat vor allem durch die pittoreske Lage einiger Kunstbauten die Rheinromantik des 18. und 19. Jahrhunderts stark beeinflusst.

Der „Rossel“, der Name nimmt die alte Bezeichnung für die Geröllhalden des Teufelskadrich auf, ist für diese Verbindung das Musterbeispiel. Die Kunstruine eines mittelalterlichen Turmbaus wurde an der Stelle eines Aussichtspavillons errichtet. Zunächst geht es einen Hang hinauf und mit einem Zick-Zack-Gang ins Gemäuer hinein. Das öffnet sich zu einer großen ummauerten Terrasse hoch über dem Rhein oberhalb des „Mäuseturms“ bei Bingen und unweit der Nahe-Mündung:

Weit geht der Blick in die Rheinebene, Mainz ist am Horizont zu erkennen. Die schroffen bewaldeten Steilhänge an den Ufern des Stromdurchbruchs unterhalb des „Binger Lochs“ mit seinen einst berüchtigten Riffen im Fahrwasser wirken wie bei einem Vorhang zur Seite geschoben. Was für eine inszenierte Großartigkeit!

Das Niederwalddenkmal.

Zurück auf den Rheinsteig, der nun zugleich der Hauptspazierweg durch den Laubwald zum Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim ist. Eine 10,5 Meter hohe „Germania“, den Siegerlorbeerkranz triumphal hochgereckt, thront auf dem 21 Meter hohen Sockel. Das Denkmal wurde nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 aus Anlass der Gründung des Deutschen Kaiserreiches gebaut.

Durch die Weinberge von Rüdesheim, bekannteste Lagen sind Berg Rottland und Schlossberg, geht es hinunter ans Rheinufer und ins Städtchen. Der Zugang zur engen „Drosselgasse“ mit ihren Weinstuben ist zwar gut ausgeschildert, doch es herrscht ja Corona bedingt Dauersperrstunde. So endet der zweite Teil des Rheinsteigs eher sang- und klanglos. Das, was den Weitwanderweg berühmt gemacht hat, liegt am Ende eines langen Wandertages hinter uns.

Titelbild: „Weinblick 2020“ oberhalb von Lorchhausen