Rheinsteig: die letzten drei Etappen. Was ab Rüdesheim in zwei bis drei Tagesabschnitten bis zum Endpunkt des Rheinsteigs in Wiesbaden folgt, ist eine andere Welt. Keine Burgenromantik mehr und keine steilen Hänge. Es geht nun zunächst durch die Weinberge des Rheingaus, dann durch wunderbare Buchen-Eichenwälder des Taunus. Am Ende wartet wie zu Beginn in Bonn: ein Schloss.

Vorbei an der neoromanischen Abtei St. Hildegardis oberhalb von Rüdesheim, das Hildegardis-Grab ist wenige Meter entfernt in der Wallfahrtskirche Eibingen, beginnt die erste der drei Etappen des Schlussteils des Rheinsteigs. Diese hier ist eine „Klosterroute“ und endet am Kloster Eberbach nach 22,4 Kilometern. Rund sechs Stunden beträgt die reine Wanderzeit, doch das sind andere sechs Stunden als im Oberen Mittelrheintal.
Die ersten zweieinhalb Stunden geht es zwar immer mal wieder hinauf – auch eine anstrengende Passage ab dem Franziskanerkloster Marienthal ist dabei -, doch danach wird es gemütlich. Die folgenden Strecken über die Wirtschaftswege inmitten der Rebzeilen können ermüdend sein, für Nicht-Wein-Freunde wirken sie vermutlich auch schlicht monoton.
Den anderen geht bei Namen wie Schloss Vollrads – das Gut liegt mitten in den Weinbergen und wird direkt über den Rheinsteig erreicht – das Herz auf. 1998 machte das Grafenhaus derer von Greiffenclau, alter Rheingauer Adel, dem Minister, Kurfürsten und Fürstbischöfe entstammten, traurige Schlagzeilen: Der amtierende Graf wählte aus Gram den Freitod, nachdem der Weinbaubetrieb in den Konkurs geraten und an eine Sparkasse verkauft worden war. Heute ist Schloss Vollrads längst wieder zu dem Rieslingparadies geworden, das es über Jahrhunderte war.
Die Passagen durch die Weinberge sind nicht besonders gut markiert. Sich in Weltklasse-Rieslinglagen verlaufen? Auch nicht schlecht.
Leider ist die Passage durch die Rheingauer Weinberge zwischen Schloss Vollrads und oberhalb von Hallgarten nicht besonders gut ausgeschildert. Man muss bei dem häufig wechselnden Kurs aufpassen, nicht die Orientierung zu verlieren. Dafür hat man auf dieser Etappe immer mal wieder wunderbare Blicke ins Rheintal bis nach Mainz und in die Pfalz. Am Ende, nach einem steilen Abstieg über Serpentinen durch den Laubwald, liegt Kloster Eberbach zu Füßen. Das Tagesziel ist erreicht.

14,8 Kilometer kurz ist die nächste Etappe, die Tags drauf vom Kloster Eberbach startet. Man sollte bei Gelegenheit eine Führung durch die alten Gemäuer buchen, die wie etwa der ehemalige Schlafraum, das Skriptorium und der Fasskeller der Zisterzienser, Drehort des Mittelalter-Blockbusters „Der Name der Rose“ waren.

Nach kurzem steilem Anstieg in den Wald oberhalb des Klosters geht es bald wieder hinaus, hinab nach Kiedrich und zurück ins Rieslingparadies des Rheingaus. Die wunderschöne Pfarr- und Wallfahrtskirche, eine Basilika(!), St. Valentinus und St. Dionysius von Kiedrich gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie ist gotisch und verfügt über eine bemerkenswert vollständig erhaltene Ausstattung. Unter anderem mit der angeblich ältesten spielbaren Orgel der Welt, entstanden um 1500. Den Rekord teilt sich Kiedrichs Pfarrkirche allerdings mit der Arp-Schnitger-Orgel von 1497 in der kleinen Pfarrkirche von Rysum, einem Warftendorf in der Krummhörn bei Emden.

Dazu hat Kiedrich einige schöne Fachwerkhäuser rund um den Wiesbadener Platz, einer Art Dorfplatz. Und im Ort, welcher Weinkenner könnte es vergessen zu erwähnen, unweit der Kirche, ist auch das bekannte Weingut Robert Weil. Wilhelm Weil keltert Reben vom „Kiedricher Gräfenberg“, einer „Großen Gewächs“-Lage und in Monopolbesitz unterhalb des nächsten Zwischenziels, der Burgruine Scharfenstein.
Schloss Vollrads, Kloster Eberbach, Kiedrich – das ist schon ein Tagesausflug. Dazu gehört unbedingt Schloss Johannisberg, das leider nicht direkt am Rheinsteig, aber immerhin in Sichtweite bei Oestrich-Winkel liegt. Schloss Johannisberg ist das älteste reine Rieslingweingut der Welt und der „Geburtsort“ der Spätlese dank des „Spätlesereiters“.
Die Legende vom „Spätlesereiter“ gehört zu Schloss Johannisberg dazu.
Dessen Geschichte, die auch eine Legende sein kann, führt zurück ins 18. Jahrhundert, als Schloss Johannisberg dem Hochstift Fulda gehörte, der es zum Musterweingut ausgebaut hatte. Hier die Geschichte, wie sie bei Wikipedia zu lesen ist:

„Der Fürstabt hatte sich vorbehalten, darüber zu bestimmen, wann mit der Weinlese begonnen werden durfte. So geschah es im Jahr 1775, dass die Mönche im Schloss Johannisberg wie jedes Jahr zur Zeit der Lese einen Boten mit einer Probe reifer Weintrauben nach Fulda entsandten, um die Erlaubnis des Fürstbischofs zum Lesebeginn einzuholen. Obwohl die Trauben bereits reif waren und alle umliegenden Städte auf ihren Besitztümern die Leseerlaubnis längst erteilt hatten, kehrte der Bote nicht zurück und die ersehnte Erlaubnis blieb zunächst aus.
So mussten die ihrem Fürstbischof treu ergebenen Mönche mit ansehen, wie die Trauben der Fäulnis anheimfielen, verschrumpelten und eintrockneten. Als der Bote dann mit einer Verspätung von mehreren Wochen eintraf, machten die Mönche das Beste aus der Situation: Sie kelterten die Trauben, wenn auch ohne große Hoffnung auf einen trinkbaren Wein. Wie sich herausstellte ein großer Irrtum, denn der Wein gelang vorzüglich.
Durch Zufall entdeckte man so die Edelfäule, einen Schimmelpilz, der bei oechslereichen Trauben in mildem Herbstwetter mit Frühnebel entstehen kann. So war der Grundstein für die Qualitäten der Spätlese gelegt, insbesondere aber der Beerenauslese und der Trockenbeerenauslese, die dem Rheingauer Wein zu Weltruhm verholfen haben.“
Im Kurort Schlangenbad, Ziel dieser angenehmen Etappe, die schließlich in die Wiesen und Wälder des Taunus führt, haben die Wandelhallen rund um das ehemalige Kurhaus, das heutige „Parkhotel“, den Charme einer „Lost Places“-Architektur. Das ist der Effekt, wenn der Kurbetrieb ruht, und das offenbar nicht erst seit den Corona-Kontaktbeschränkungen.

In Schlangenbad beginnt die letzte, je nach Zählung 17. Etappe des Rheinsteigs, 16,3 Kilometer, gute vier Stunden, dauert dieser Ausklang, von denen der Beginn gleich Laune macht. Es geht kurz durch ein sanftes Tal in Richtung des „Schlangenpfads“. An einer Bachbrücke erklärt eine Hinweistafel, dass in der idyllischen Auenlandschaft eines von nur vier Vorkommen der Äskulapnatter in Deutschland zu finden ist. Die bis zu zwei Meter lange ungiftige Schlangenart soll einst von römischen Soldaten als Mäusefänger in den Rheingau gebracht worden sein. Im feuchten, warmen Klima des Tals oberhalb des Kurorts fühlt sie sich offenbar wohl.
Es folgt eine längere Passage über breite flache Wege durch wunderbare Buchenwälder, für die der Taunus bekannt ist. Nach dem „Grauen Stein“, einem 320 Millionen Jahre alten Quarzit-Monolithen, wird am Wegesrand kurz vor Frauenstein der „Monstranzenbaum“, ein ein Meter dicker Totholzstamm mit dem eine Legende verbunden ist, passiert.

Hinter Frauenstein, dem westlichsten Stadtteil Wiesbadens, wartet der letzte steile – aber kurze – Anstieg des Rheinsteigs. Über einen Gratweg erreicht man erst einen Aussichtsturm – bei schönem Wetter mit Blick in den Hunsrück und zum Odenwald – kurze Zeit später einen spitzdreieckigen Turm. Die Gemarkung erinnert an Johann Wolfgang von Goethe, der bei einem seiner Rheingauaufenthalte hier verweilte.
In Wiesbaden, kurz vor dem Ziel des Rheinsteigs, geht es zunächst durch sich ziehende wilde Gärten in der Rheinaue.
Preisfrage am Ende des Rheinsteigs, nach fast 320 Kilometern: Wie wird das Finale dieses Weitwanderweges in Wiesbaden sein?
Bergab vom Goethe-Denkmal geht es zunächst durch sich ziehende Gartenparzellen in der Rheinaue oberhalb von Schierstein. Doch dann entschädigt der Gang über den „Alten Damm“, der das Hafenbecken begrenzt, für die Monotonie der rund 45 Minuten zuvor. So nah war man dem Rhein schon lange nicht mehr.
Dann endet der Rheinsteig, wie er begonnen hat. In Bonn am barocken Hofgarten, dann entlang des Rheinufers in Beuel bei Rheinkilometer 655 ging es los. Jetzt ist der Schlusspunkt nach einem Gang entlang des Rheinufers bei Rheinkilometer 506 in Wiesbaden hin zum Schloss Biebrich erreicht. Im Schlosspark ist Zeit für den Schlusswein, natürlich ein Riesling aus dem Rheingau.

Fazit: Der Rheinsteig, dessen Wegemanagement Vorbild auch für die „Traumpfade“ in der Osteifel und den „Eifelsteig“ war, ist fast ohne Einschränkungen empfehlenswert. Wem das alles noch nicht genug „Rheinromantik“ ist, auf den wartet jetzt das schöne Streckennetz der „Rheinburgenwege“ am linken Ufer des Stroms. Da kann man dann stolz immer wieder auf das Gegenüber schauen: Die Höhen, Burgen, steilen Felsen und tiefen Täler, die man auf dem Rheinsteig durchwandert hat.

Titelbild: Kloster Eberbach
INFO
Der Rheinsteig wurde auf Basis des Wanderführers von Klaus und Falco Harnach in 17 Etappen begangen: Rheinsteig, Kompass Wanderführer, Nr. 5223, 3. Auflage 2019, www.kompass.de. Informationen zu den Burgen im Oberen Mittelrheintal: Thomas Biller/AchimWendt: Burgen im Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal, Schnell und Steiner, Regensburg, 2013, www.schnell-und-steiner.de