Rheinsteig: Was soll man sagen? Erst geht es hoch auf den Loreleyfelsen, und das Ende dieser Etappe ist Kaub mit der berühmten Pfalz im Rhein im Schatten der Burg Gutenfels. Mehr Rheinromantik an einem Tag geht nicht.
22 Kilometer über knapp sechs Stunden, 1233 Meter geht es hoch, 1248 Meter hinunter. So nüchtern kann man diese Königsetappe des Rheinsteigs zwischen St. Goarshausen und Kaub natürlich auch beschreiben. Doch das tun wohl nur Statistiker.
Der Grund dafür ist schon an der Spitze der Rheinmole vor St. Goarshausen in Form einer Skulptur zu sehen: Die Loreley, dargestellt als geheimnisvolle, laszive Nackte unter einem großen Umhang, der mehr enthüllt als verbirgt.
So verführerisch interpretierte Natasha Alexandrowna Prinzessin Jusoppow in ihrer überlebensgroßen Bronzestatue, die 1983 hier aufgestellt wurde, die Loreley. Eine Zauberin, die durch ihre Schönheit und ihren Gesang wie einst die mythischen Skylla und Charybdis der Odysee die Schiffskapitäne betörte und die Rheinboote in den Untiefen kentern, an den quer zum Fluss liegenden Riffen oder am scharfkantigen Felsen zerschellen ließ.
Sprachforscher meinen, dass der Name Loreley zum einen das keltische „Ley“ für Felsen enthalte und das mittelhochdeutsche „luren“ oder „lurren“, was entweder „lauernder Felsen“ oder „heulender Felsen“ bedeute. Beides bezieht sich auf das siebenfache Echo, das am Loreleyfelsen schon gemessen worden sein soll: Es entstehe durch die Geräuschkulisse aus rauschender, starker Strömung um Untiefen und dem Galgenbach-Wasserfall am rechten Rheinufer.

Wie gefährlich die Passage zwischen Rossstein und Loreley ist, machen die Fakten klar: Nur noch 160 Meter breit, aber 25 Meter tief verengt sich hier das Flussbett des Rheins beim Durchbruch durch das Obere Mittelrheintal. „Kammereck“, „Betteck“, die „Lützelsteine“ im Strom in Höhe der Loreley – das sind bei den Rheinkapitänen legendäre Namen. Der Effekt, vor allem bei der Talfahrt, ist wie bei einem S-förmigen Flaschenhals: Es sogt und wirbelt gewaltig.

So entstehen auch große Strömungsunterschiede. Erst als in den 1930er Jahren Felsen im Rhein, die erhebliche Hindernisse für die Rheinschifffahrt darstellten, gesprengt wurden, war die berüchtigte Passage leidlich entschärft. Aber noch bis in die 1980er Jahre wurden ab Bingen bei der Talfahrt Lotsen eingesetzt.
2011 kam es an der Loreley zu einer spektakulären Havarie. Ein Tankladeschiff kenterte am Felsen und trieb ab bis zur Spitze der Hafenmole vor St. Goarshausen. Dort, zu Füßen der Loreley-Statue, blieb es auf der Backbordseite liegen.
Zuletzt 2011 kam es dennoch zu einer schweren Havarie. Das mit 2400 Tonnen hochkonzentrierter Schwefelsäure beladene Tankmotorschiff „Waldhof“ war bei der Talfahrt in Höhe des Loreleyfelsens gekentert und erst bei St. Goarshausen, passsenderweise unweit der erwähnten Skulptur an der Spitze der Hafenmole, auf der Backbordseite liegen geblieben.

Es sind also nicht nur Anekdoten, an die man unterwegs denkt, während es erst über eine Treppe dann eine Teerstraße in St. Goarshausen hoch zur Burg Katz, dann weiter bis auf die Höhe und eine Wiesenlandschaft geht. Von einem ersten wunderbaren Aussichtspunkt blickt man hinunter in die rasanten Biegungen des Rheins und auf einige der sieben Wahrschaustationen, eine Lichtsignalkette, die an den Engstellen über Funk und Radar die Zufahrt der Rheinschifffahrt regelt. Bevor die Warnkette installiert war läuteten die Schiffsführer vor Einfahrt in die Enge die Schiffsglocke und baten die Mannschaft zum Gebet.

Und dann ist man – die kampflustig wirkenden Böcke einer frei weidenden Ziegenherde machen freiwillig den Weg frei – unvermittelt auf dem Plateau des Loreleyfelsens angekommen. Vorbei am Besucherzentrum und der Open-Air-Bühne mit dem markanten Zeltdach führt schnurgerade der „Strahlenweg“ direkt an die Felsenkante. Der Ausblick ist natürlich grandios.

Clemens Brentano machte in seinem Roman „Godwin“ (1801-02) die den Namen gebende Sage erstmals populär, eine Erfindung. Über das Lied von Heinrich Heine und dessen Vertonung (1824, beziehungsweise 1834) wurde sie berühmt. Alles andere als ein Zufall. Diese Literatur entstand zur Hochzeit der Rheinromantik. Alleine auf dieser Rheinsteigetappe sind mit der großen ehemaligen Ganerbenburg Schönburg oberhalb von Oberwesel am Rheinufer gegenüber, später einem weiteren „Klassikerensemble“ der Rheinromantik Hotspots erreicht, die auch den Maler und Spätromantiker William Turner bei seiner Rheinreise 1817 begeisterten und inspirierten.

Zurück auf diesen wunderbaren Mythenweg. Zunächst geht es nach einem weiteren Aussichtspunkt an einer auf dem Felsen unterhalb des Geisenrückens etwas ausgesetzten Wanderhütte steil hinab über einen schmalen Pfad durch ehemalige Wingerte. Vorbei an einem Winzerhäuschen am Hang mit betoniertem Wasserauffangbecken auf dem Dach werden mehr als 100 Höhenmeter überwunden. Dann ist die Furt tief unten im Urbachtal erreicht. Das Morgenlicht fällt in dichten Strahlenbündeln durch das Laubdach auf das Rinnsal zwischen den Steilhängen. Mehr Idylle geht kaum.
Hoch auf den Rossstein ist der alpine Pfad teilweise Seil gesichert. Einfach weiter klettern, nicht nach unten schauen, lautet die Devise.
Was könnte anderes folgen als ein genauso steiler Pfad wieder hinauf. Jetzt auf den Rossstein. Teilweise ist Seilsicherung nötig, der Pfad ist alpin, und durch das niedrige Eichengehölz sollte man nicht zu lange Blicke in die Tiefe wagen. Lieber weiter klettern, vorbei an einer kleinen Christophorus-Statue oberhalb einer Wanderhütte auf schmalem Plateau an der Hangkante.
Der weite Blick in die Ferne über im Fluss spiegelndes Sonnenlicht ist die Mühen wert: Rheinaufwärts ist das Flussbett noch breit, gegenüber liegt Oberwesel, weiter oberhalb ist mitten im Rhein Pfalzgrafenstein zu erkennen.

Burg Kaub, wie sie fälschlicherweise auch genannt wird mit ihrem markanten fünfeckigen Turm ist im Gegensatz zur „Ruinenromantik“ im Oberen Mittelrheintal noch so gut wie vollständig original erhalten. Die Bebauung begann um 1327 durch den bayerischen König Ludwig , Erweiterungen folgten vor allem im 15. Jahrhundert. Die Pfalz wirkt wie ein in die Flussströmung ausgerichtetes Schiff. Der wuchtige Bug trägt an seiner Spitze einen vergoldeten Löwen, der das Wappen der bayerischen Wittelsbacher in den Klauen hält.
Die Postkartenansicht wirkt. Wem jetzt nicht rheinromantisch wird, der kann auch am Eifelflüsschen entlang wandern.
Ab dem 14. Jahrhundert und noch bis 1866 war Pfalzgrafenstein eine wichtige Zollstation. Bis 1983 waren im Gemäuer auf einem Rheinfelsen Lotsen einquartiert, die die Rheinschiffer auf der Talfahrt durch das folgende wilde „S“ leiteten.

Schließlich, nach Überschreiten des mit 323 Metern höchsten Etappenpunktes am Ortsrand von Dörscheid, geht es zum Abschluss in Kaub am Rheinufer noch einmal durch Weinberge hinab bis auf nur noch 79 Meter über Null. Die Postkartenansicht mit Burg Gutenfels, Kaub und der Pfalz im Rhein hat man immer vor Augen. Das wirkt. Wem jetzt nicht rheinromantisch wird, der kann auch am Eifelflüsschen entlang wandern. Eine schräge Rampe, dann eine Treppe führen am Ende unmittelbar am Weinberg durch ein mittelalterliches Außentor ins Städtchen hinein.
In Höhe der Pfalz hat man General Gebhard Leberecht von Bluecher am Ufer ein Denkmal gebaut. Herrisch und entschieden weist er mit dem Arm Richtung Westen, über den Strom. Die Geste bezieht sich auf die napoleonischen Befreiungskriege und die legendäre Rheinüberquerung der schlesischen Armee, kommandiert von Bluecher. In der ersten Januarwoche des Jahres 1814 setzten binnen fünf Tagen auf einer eigens gebauten Holzbrücke 50.000 Soldaten, 15.000 Pferde und 182 Geschütze über den Strom.

Das Heer drängte in der Folge die nach der Niederlage bei der Völkerschlacht von Leipzig (16. bis 19.10.1813) geschwächten Truppen Napoleons zurück. Eine der Ursachen dafür, dass Preußen beim „Wiener Kongress“ (1814-1815) als eine der Siegermächte behandelt wurde, heißt es. Und damit wurde Bluechers Rheinübergang bei Kaub eine Quelle deutschen Patriotismus par Excellence. Selbstredend gibt es in Kaub ein „Bluecher-Museum“ zum Geschehen.
Und während man sich beim „Ziel-Wein“ in Kaub über eine der schönsten Wanderungen des Jahres freut, summt man vor sich hin: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,/ dass ich so traurig bin;/
ein Märchen aus alten Zeiten,/ das kommt mir nicht aus dem Sinn.“
Dass die deutsche Post just in diesem Oktober eine Loreley-Briefmarke veröffentlicht hat, ist aber nur ein Zufall.

Titelbild: Burg Gutenfels, Kaub und Pfalzgrafenstein im Rhein.