Die Heimschule von Nickenich

Was einmal eine Schule war, ist heute einer der wenigen öffentlich zugänglichen „Lost Places“ in der Region: Die ehemalige „Heimschule von Maria Lach“ bei Nickenich hat eine wechselvolle Geschichte. Die Ruine liegt am „Traumpfad Pellenzer Seeuferweg“.


Dreigeschossig ist der herunter gekommene Bau. Schon lange fehlen die Fenster, lückenhafte Gitter versperren  notdürftig  einige der Türen in die Ruine, die auf der Nordseite offenbar einen repräsentativen Balkon hatte, und einen Zugang über eine breite Treppe.

Innen drin, über drei Etagen, haben sich ganze Generationen an Graffiti-Sprayern aus der Region verewigt. Dieser „Lost Place“ ist tatsächlich offenbar keiner mehr: Ruinenromantik abseits der Dörfer Wassenach und Nickenich, aus den toten Fensterhöhlen geht der Blick weit übers Land, die Pellenz, bis – bei schönem Wetter – zum Siebengebirge.


Von dem, wofür dieser seltsame dreigeschossige Bau mit den Bimsfertigdecken einst gedacht war, ist heute nichts mehr zu sehen: Offenbar wurde über viele Jahre  alles herausgerissen, gestohlen, abgebrochen, was irgendwie noch zu gebrauchen war. Fragmente eines Türrahmens sind da schon eine Überraschung, die freigelegte Bodenfüllung zwischen den Geschossen beweist nur, dass auch die ursprünglichen Dielen herausgerissen worden sind. Ein trostloser, verwüsteter Eindruck.


Am 18. September 1927, war das alles ganz anders. Umgeben von Festgästen legte Ildefons Herwegen, Abt von Maria Laach, hier auf dem Hochplateau mit dem Weitblick feierlich den Grundstein für das neue Fundament. Es sollte der Beginn einer neuen Zeitrechnung ganz im katholischen Bildungsgeist nach den – aus kirchlicher Sicht – weitgehenden gesellschaftlichen und moralischen Verwerfungen nach Ende des Weltkrieges werden: „Die Heimschule am Laacher See“ sollte eine neue konfessionelle Schule, Gymnasium und Realschule in einem werden. Das Unterrichtsideal war ein ganzheitliches, christliches Menschenbild. So ist es in einer Schrift zur Schuleröffnung mit dem Titel „Die Heimschule“ nachzulesen.

Zunächst ab der Sexta und bis zur Klasse 9 sollten die Schüler in 14 Gruppen zu je elf Schülern unterrichtet werden, ein Internatsbetrieb gehörte dazu. Ziel war ein Ausbau bis hin zum Angebot von Abiturklassen. Schulträger war die „Gesellschaft für ländliches höheres Heimschulwesen gemeinnützige GmbH“, der unter anderem der Bischöfliche Stuhl in Trier und die Abtei Maria Laach angehörten. An Ostern 1928 wurde der Schulbetrieb mit einer Sexta aufgenommen, erster Rektor war Dr. Bruno Benten.

Ab 21 Uhr galt im Heim das „Schweigen der Nacht“

Der Tagesablauf in der „Heimschule“ war denkbar straff organisiert:  Wecken um 6.30 Uhr, dann Frühsport noch vor der täglichen hl. Messe um 7 Uhr.  Nach dem Frühstück war von 8 bis 12 Uhr Unterricht, unterbrochen von einer Pause mit zweitem Frühstück und der Pflicht für die Zöglinge, die Betten in ihren Gruppenschlafräumen zu machen. Vor dem Mittagessen die zweite Sporteinheit, alternativ Arbeit im Heimgarten oder in der Werkstatt, dasselbe auch nach der Kaffeepause. Abendessen um 18 Uhr, ab 21 Uhr galt „das Schweigen der Nacht“, wie es in einer Chronik auf der Internetseite von Wassenach heißt. Für die Schüler wurden in der Freizeit Wanderungen, Sportwettkämpfe und anderes mehr angeboten.


Warum der so verheißungsvoll gestartete Schulbetrieb schon 1933/34 „trotz regen Zulaufs“,  so die Chronik, schließen musste, bleibt unklar. Die Weltwirtschaftskrise ab Ende der 1920er Jahre habe einen Weiterbau verhindert, es blieb bei dem einen, heute aber nur noch gut zur Hälfte sichtbaren, Schulgebäude. Zwar unterbanden die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933 die Finanzierung aller konfessionellen Schulen. Hier oben auf dem abgelegenen Plateau oberhalb des Laacher Sees, hatten die NS-Ideologen noch andere Pläne.


Als nationalsozialistische „Heimstätte für Mädchen“ sei der Lehrbetrieb – jetzt strikt konform mit der NS-Ideologie –weiter betrieben worden, heißt es in der zitierten Chronik. Eine „nationalsozialistische Einrichtung zur Unterstützung der Landfrauen und kinderreicher Familien“ sei diese „Heimstätte“  nun geworden: Die linientreue jungen Frauen mussten tagsüber in ihnen zugewiesenen Familien hauswirtschaftliche Arbeiten leisten, gegen Abend kehrten sie zurück in die ehemalige Schule.


1944 schließlich wurde demnach das Gebäude von der V1-Truppe, Regiment Wachtel, der Wehrmacht belegt. Im angrenzenden Hochwald seien die V1-Raketen einsatzfähig gemacht und dann zu den Abschussrampen in der Eifel gebracht worden, heißt es.

Nach Ende des 2. Weltkriegs wurde das Gebäude nicht mehr benutzt. Es verfiel.

Nur wenn man sich den Grundriss der Räume in den drei Etagen genauer ansieht, erkennt man noch die einstige Nutzung: Alle Räume haben an beiden Längsseiten vor allem in den beiden oberen Etagen große, gleichmäßige Fensterreihen, wie es in Klassenräumen üblich war. Da, wo vielleicht einmal Schiefertafeln an den Stirnseiten gestanden haben könnten, zieren heute große Graffiti-Tags die Wände.

Quellen:
www.wassenach.de, auch die historischen Abbildungen.
www.aw-wiki.de, Plan des Ausbaus der Heimschule: https://www.aw-wiki.de/w/index.php?curid=14556