Das Gelübde

2013 wurde in Kronenburg ein Brauch eingeführt, der an ein Gelübde der Bevölkerung kurz vor Kriegsende erinnert. Am Abend des  Feiertags Maria Himmelfahrt gehen die Kronenburger und Kronenburgerinnen in einer Lichterprozession von der Pfarrkirche im Burgort hinab zur Brigida Kapelle in Kronenburghütte am Kyllufer. Eine Prozession aus Dankbarkeit.

Stand es wirklich so spitz auf Kopf? Albert Brandenburg, 85, meint: „Ja. Das US-Militär lag im März 1945 unten in Kronenburghütte, oben im Burgort hatten sich Scharfschützen der Wehrmacht verschanzt. Der Befehlshaber der Amerikaner drohte mit Bombardierung, wenn sich die Wehrmacht nicht zurückziehen würde.“ Bis auf 500 Meter seien die Bombeneinschläge immerhin doch an den historischen Burgort Kronenburg herangekommen, meint Walter Brandenburg, 81, vier Jahre jünger als sein Bruder. Die Familie ist alteingesessen. Ihr Stammbaum lässt sich bis ins Jahr 1790 zurückverfolgen.

Warum stoppte die Bombardierung des Burgortes?

Lange Jahre nach dem Ende des Beschusses von Kronenburg, der von September 1944 bis zum 4. oder 6. März 1945 dauerte, blieb jedoch eine Frage offen: Warum stoppte die Bombardierung des Burgortes und der kleinen Siedlung am Kyllufer so knapp vor dem Ziel? Warum blieb Kronenburg von Bomben verschont? War da nicht doch mehr im Spiel als eine Absprache zwischen Militärs?

Der Text des Gelübdes wurde zur Unterschrift durch die Kronenburger Familien im Dorf ausgelegt.

Bei der Antwort auf diese Frage spielen Weihegebete des damaligen Oberpfarrers Paul Nieten, seit dem 27. Januar 1943 an der Pfarrkirche St. Johann Baptist im Amt,  eine Rolle. Von den Bittgebeten  wussten die Kronenburger nichts, sie beteten ihrerseits um den göttlichen Beistand, wenn sie etwa im Bunker an der heutigen Straße nach Ormont saßen. Der Pfarrer hatte sein Flehen erfolgreich geheim gehalten. Erst nach Kriegsende eröffnete er der Gemeinde, dass offenbar die Mutter Gottes neben den Gebeten der Gläubigen geholfen hatte.

Für viele der gottesfürchtigen Kronenburger eine plausible Erklärung für das unverhoffte Glück der Verschonung. 53 Familien lebten um diese Zeit in Kronenburg. Familien ohne ihre Väter. Wenn die kriegsfähig waren, waren sie teilweise auch an Fronleichnam 1945 noch an der Front.  „Auch unser Vater“, so Albert und Walter Brandenburg.

Abschlussgebet an der kleinen Kapelle in Kronenburger Hütte.

So unterschrieb ihre Mutter mit „Frau Math. Brandenburg“ – „Math“ für Mathias – wie insgesamt 53 Familienvorsteher Kronenburgs an Fronleichnam 1945 ein Gelübde als Dank für die Weihegebete von Pfarrer Paul Nieten. An fünf Orten in Kronenburg hatten die Unterschriftenlisten mit dem Gelübdetext ausgelegen.

Bis 2012 geriet der Gedenktag in Vergessenheit.

Er ist noch erhalten und enthält ein Versprechen: Man werde künftig in Kronenburg Mariä Himmelfahrt, den 15. August, als Feiertag begehen, „dass wir die Lehren des Krieges, der über uns dahingebraust ist, sowie, die Vorsätze und Gebete, die wir in der Zeit der Angst und Not gefasst haben, nicht vergessen mögen“. So steht es mit wackeligem Farbband der Schreibmaschine geschrieben.

Trotz dieser Vorsätze:  Mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Ereignissen zwischen September 1944 und März 1945 geriet das Gelübde der Bevölkerung in Vergessenheit. Bis 2012. Da hatte Pfarrer Matthäus Zuska den Kirchensprengel übernommen. Er begann sich in die Geschichte seiner neuen Pfarrei einzuarbeiten und stieß auf das Weihegebet Nietens und das unterzeichnete Versprechen der Kronenburger.  „Wir haben im Pfarrgemeinderat dann dem Vorschlag zugestimmt, mit einer Lichterprozession an die damalige Notzeit und unser Versprechen zu erinnern“, so Franz Prior.

Walter und Albert Brandenburg (v. links)

Prior war mit dabei, als zum ersten Mal 2013 die Lichterprozession an die einstige Verpflichtung erinnerte. Seitdem sind es – je nach Wetter an Maria Himmelfahrt – mal mehr, mal weniger Teilnehmer, die sich auf den 45-minütigen Marsch aus der Pfarrkirche St. Johannes Baptist durch den Burgort und hinunter zur Brigida Kapelle am Kyllufer in Kronenburgerhütte machen. An die 70 waren es in diesem Jahr.

Der Auswanderer kommt zum Gedenktag zurück.

Albert Brandenburg hatte es danach nicht ganz so weit nach Hause. Nicht wieder bis ganz hinauf zum Burgort. Auf halber Höhe wehte stattdessen eine kanadische Fahne an der Hausfront im Wind. Hier wohnt Bruder Walter mit seiner Familie. Für Albert ist die Fahne ein Signal: Es ist die seiner Wahlheimat, in die er als 20-Jähriger 1954 ausgewandert ist. In Kanada hat er sein Glück gemacht.

Seit 20 Jahren ist er immer Mitte August auf Heimaturlaub. Dann hat seine Schwester Geburtstag, seit sechs Jahren findet dann auch die Lichterprozession statt. Ein Zufall. „Beides ist für mich wichtig. Es ist toll, dass es die Prozession gibt!“, meint der Heimkehrer auf Zeit. Sie erinnert ihn daran, dass es nicht selbstverständlich ist, dass es seine Heimat, das  schöne, alte Kronenburg, heute noch so gibt, wie es immer war.

Titelbild: Das Abschlussgebet der Bittprozession in Kronenburger Hütte an Maria Himmmelfahrt 2018.