Rund 40.000 archäologische Fundstellen gibt es derzeit im Rheinland. Und ein gebürtiger Nord-Nordeifeler hat ein Auge drauf: Dr. Erich Claßen aus Vlatten ist Leiter des Amtes für Bodendenkmalpflege beim Landschaftsverband Rheinland. Ein Traumjob für einen Archäologen.
Claßen bekam den Job am 1. Januar 2019 auch weil er beim LVR kein Unbekannter ist. Fünf Jahre lang leitete er zuvor die Außenstelle des Amtes in Overath, eine von vier Außenstellen neben den Dienststellen in Titz – speziell für die Archäologie in den Braunkohletagebaugebieten – in Nideggen-Wollersheim und in Xanten. Doch in Bonn-Endenich ist die Zentrale. Hierhin ist Claßen jetzt täglich zum Berufspendler geworden. Die Familie, er ist verheiratet und hat zwei Kinder, lebt im oberbergischen Wiehl.
Nein, er habe als Kind nicht „auf den Feldern um Vlatten nach Funden gesucht“, grinst der 45-Jährige. Vlatten, ein Dorf am Übergang der Eifelausläufer zur Bördelandschaft um Zülpich, ist ein Hotspot für Archäologen.
Natürlich sei ihm etwa die damals noch so genannte „Görresburg“ bei Nettersheim, ein Matronenheiligtum mit gallo-römischem Umgangangstempel, oder der römische Aquädukt bei Vussem bekannt gewesen; und die Kakushöhle hat ihn als Junge genau so fasziniert, wie alle anderen Kinder bis heute. Aber eine „Vorprägung“ für den Job des Archäologen durch das Elternhaus gebe es nicht. „Mein Vater war Milchsammelwagenfahrer für die Molkereien und Landwirt“. Der Sohn sollte der Erste in der Familie werden, „der zur Universität gegangen ist“.

Das Interesse zuerst für Geschichte allgemein weckte im Schüler der Geschichtsunterricht am damals noch Städtischen Gymnasium in Zülpich (das heutige Frankengymnasium). „Mein damaliger Geschichtslehrer Herr Toporowski hat das Interesse geweckt!“ Es führte letztlich zu einem Studium der Ur- und Frühgeschichte, der Klassischen und Provinzialrömischen Archäologie und der Geologie/Paläontologie in Köln.
Claßen promovierte über die „Siedlungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer bandkeramischen Siedlungsgruppe im Rheinland“. Die Arbeit wurde mit zwei Preisen ausgezeichnet, unter anderem der Stiftung zur Förderung der Archäologie im rheinischen Braunkohlerevier. Nach Grabungsexpeditionen unter anderem auch in Ägypten, und Jobs im gelernten Beruf in Sachsen-Anhalt und Bayern kam er 2013 zum LVR-Amt für Bodendenkmalpflege in Overath.
Auch rund um sein Heimatdorf ist die Befunddichte groß. Fotografiert werden darf die Karte aus der Nähe nicht, die Angst vor Grabräubern oder Hobbyarchäologen mit Metallsonden ist zu groß.
Sein heimatliches Vlatten hat Claßen jetzt gerade auf dem Monitor seines Bürorechners. Nicht das heutige, das er ab und an besucht, seine Mutter und zwei Schwestern leben noch dort, sondern das Vlatten aus Sicht des Archäologen: Ein Netz aus Punkten, Strichen, markierten Flächen ist zwischen Claßens Heimatort und Zülpich auf der Karte zu sehen: Lauter Fundstellen, von denen derzeit im Rheinland etwa 40.000 bekannt sind.
250 bis 300 Grabungen werden jährlich durch das jetzt von Claßen geleitete Amt des Landschaftsverbandes überwacht. „Da sind immer noch Entdeckungen möglich“, ist der Archäologe sicher. Etwa der römische Sarkophag mit Grabbeigaben in Zülpich im Jahr 2018.

„Doch es geht uns nicht immer ums Ausgraben, oft ist es wichtiger zu dokumentieren und dann die Funde geschützt dort zu lassen, wo sie sind!“ Schon aus Kostengründen. Als Träger öffentlicher Belange muss das Amt für Bodendenkmalpflege etwa bei der Erschließung eines Neubaugebietes gehört werden. In Abstimmung mit den Denkmalbehörden, die bei den Kommunen angesiedelt sind, wird dann entschieden. Wenn ausgegraben werden muss, trägt der Bauherr die Kosten.
Anderes macht Claßen mehr Sorgen: „Erosionen und Übersäuerung der Böden gefährden zunehmend die Funde!“ Genauer die Besiedlungsspuren in den fruchtbaren Lössböden des Rheinlandes, die seit rund 7500 Jahren als Existenzgrundlage von den Menschen erkannt und genutzt wurden.
Alte und neue Herausforderungen sind der steigende Flächenverbrauch, die Energiewende und eine intensivierte Land- und Forstwirtschaft. Claßens Job ist es, im Kompromiss mit anderen Interessengruppen eine Lösung für den Erhalt der archäologischen Plätze „als Bestandteile der rheinischen Kulturlandschaft“ zu finden.
Der Niedergermanische Limes soll zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt werden.
Die Arbeit geht dem obersten Archäologen des LVR und seinen Mitarbeitern, sowie den beauftragten Fachfirmen für die archäologischen Untersuchungen vor Ort, jedenfalls nicht aus. Und neben dem, was regelmäßig im Rheinland und in der Eifel immer noch neu entdeckt wird, steht ja Langfristigeres an. Claßen wird die für 2021 vorgesehene Anerkennung des Niedergermanischen Limes entlang des Rheins zwischen Remagen und dem niederländischen Katwijk als UNESCO-Welterbe weiter betreuen. Er ist zuversichtlich: „Das sieht gut aus!“
Wie für seinen langjährigen Amtsvorgänger Dr. Jürgen Kunow ist auch für Claßen die In-Wert-Setzung und Präsentation der Bodendenkmäler für die Öffentlichkeit, etwa durch die jährliche „Archäologie-Tour Nordeifel“, ein wichtiges Ziel. Nettersheim sei, so Claßen anerkennend, wenn es um die Vermittlung von Archäologie an ein breites Publikum gehe, „ein sehr gutes Beispiel!“
Verantwortung als Beschützer alter Kulturgüter trägt er jetzt für ein Gebiet vom Bergischen Land im Westen bis nach Selfkant und von Emmerich am Niederrhein bis zur NRW-Landesgrenze bei Dahlem. Dort verläuft etwa – mitten im Wald – eine ehemalige römische Straße.