Stirbt der Eifeler Dialekt aus? Vor noch wenigen Jahrzehnten hätte die klare Antwort gelautet: Ja! Mittlerweile muss man sich da nicht mehr ganz so sicher sein. Eine Sprachreise in die Eifel in 2 Teilen.

Drei sitzen gemütlich beim Kaffee am Tisch in Winterspelt-Ihren. Hausherr Hubert Tautges,  Renate Burkert aus Elcherath und Anton Hockertz aus Urb haben sichtlich gute Laune. „Der Oos bei uns ist der Uus in Bleialf“, meint Hubert Tautges, und nimmt einfach mal die schon in einem Abstand von knapp sechs Kilometern zwischen Ihren und Bleialf unterschiedliche, wenn auch ähnliche Bezeichnung für den Ochsen als Beispiel. Von Dorf zu Dorf kann es Abweichungen geben. Von kleinen in der Aussprache bis zu komplett anderen Wörtern für das Gleiche. Die Dialekte der Eifel: lauter kleine Sprachweltenwunder.

Drei, die Platt sprechen, wie sie es schon immer getan haben: Anton Hockertz aus Urb (von links), Renate Burkert aus Elcherath und Hubert Tautges aus Ihren.

Die Drei am Kaffeetisch sind Ü-60 bis Ü-70. Sie sprechen Platt seit ihrer Kindheit und haben es von den Eltern intuitiv gelernt. Was außerhalb der Familie zu Problemen führte und nicht für alle Elternhäuser galt. „Ich hätte in der Schule ja Manches auf Hochdeutsch gesagt, wenn ich das Wort dafür gewusst hätte“, erinnert sich Renate Burkert. Noch bis in die 1970er Jahre war Platt in der Öffentlichkeit weitgehend  verpönt, im Schulunterricht ist es bis heute untersagt. „Man hat damals eher gedacht: Man tut den Kindern etwas Gutes, wenn sie Hochdeutsch reden“, so Hubert Tautges, wenn er an die Appelle „richtig zu sprechen“ zurück denkt.

Doch siehe da: Die beiden Söhne von Anton Hockertz können Platt, und die Enkel, 21 und 23 Jahre alt, verstehen es wenigstens noch, sprechen es aber nicht. Wenn Renate Burkert an ihrer Bietzmaschin‘ sitzt und einem Bekannten auf dessen Frage „Kannst Du ming Bux bietzen“ antwortet „Ich han die jestern alt jebuht“ verstehen auch ihre drei Töchter, dass die Mutter die Hose an der Nähmaschine schon repariert hat. Sie würden das in Platt aber nicht auf die Schnelle wiederholen können.

Deutschlehrer Tobias Lang in Gerolstein überrascht die zunehmende Zahl von Plattsprechern unter seinen Schülern nicht: „Da hat sich in den letzten Jahren was zum Positiven geändert!“ Die Dialektworte an der Tafel und ihre hochdeutsche Übersetzung haben seine Elftklässler ausgewählt.

Es gibt nichts Dynamischeres als die Sprache, deren Festlegung in der hochdeutschen Normsprache seit Martin Luthers Bibelübersetzung, dann über die Gebrüder Grimm, spätestens aber seit der Gründung des Duden als Verzeichnis des „richtigen“  Deutschen, dem Zweck dient, die Kommunikation innerhalb einer Sprachgemeinschaft über alle Regionaldialekte hinweg zu ermöglichen. Das geht nur mit Regeln. Statt Vielfalt ein Standard. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Dabei sind auch die Eifeler Dialekte wesentlich älter als das Hochdeutsche.

So schung, schee oder schien Platt auch sein mag – manchmal ist Hochdeutsch einfach besser, nicht schöner.

Platt – aber wann?  Heutige Jugendliche unterscheiden sehr genau, wann es gut ist, im Dorfdialekt oder dem erweiterten Regionaldialekt zu reden, und wann Hochdeutsch die richtige Alternative ist. Im Job kann Platt  Nachteile bringen. Hochdeutsch ist Pflicht – Platt die Kür? Diese Unsicherheit gab es im Berufsleben der drei munteren Rentner am Kaffeetisch in Ihren definitiv nicht.

Dass man im Job bitteschön Hochdeutsch spricht – für den Postbeamten Hubert Tautges oder den gelernten Schlüssel- und Schlossmacher Anton Hockertz war das beim Kundenkontakt meistens keine Frage. So schung, schee oder schien Platt auch sein mag. Also „schön“ etwa in und um Dasburg an der deutsch-luxemburgischen Grenze, oder in Prüm.

Maria Wirtz aus Birresborn vor ihrem Elternhaus mit dem Hausnamen „Backessen“.

Was für ein sprachliches Kuddelmuddel das Eifeler Platt ist, das je nach Region mal mehr, mal weniger aus dem Moselfränkischen oder dem Ripuarischen des Rheinlandes gebildet ist, davon zeugt die  „Eifeler Sprachbarriere“. Sie trennt die beiden wichtigsten Sprachfamilien der Region mit einem breiten „Korridor“ in dem Platt-mäßig alles möglich ist. Es gibt, nebenbei bemerkt, sogar eine von Sprachwissenschaftlern so genannte „Eifeler Regel“: Bei bestimmten Wörtern in bestimmter Wortumgebung wird das endständige „–n“ weggelassen: Damenschuhe werden Dammeschong. Die Liste ließe sich verlängern. Aber wer schreibt schon im Dialekt? Es gilt das gesprochene Wort.

Platt ist je nach Clique der Normalfall.  Wer so spricht, gehört dazu.

Platt vermittelt ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Für manche eingeborene Eifeler ist die Sympathie dem Gegenüber größer, wenn er oder sie Platt spricht.  Wer einen geselligen Abend bei einer Löschgruppe der Feuerwehr auf dem Dorf besucht, wer im Karneval die Ohren spitzt, oder im Festzelt auf der Kirmes: Platt ist je nach Clique der Normalfall.  Wer so spricht, gehört dazu.

„Da hat sich was zum Positiven in den letzten Jahren verändert. Wer Platt kann, spricht es auch“, kann Deutschlehrer Tobias Lang am Gerolsteiner Matthias-Gymnasium schon länger beobachten, wenn er sich so auf dem Pausenhof unter seinen Schülern umhört. Sie sprechen Platt wenn sie unter sich sind. Kommt in ihrem Alltag Jemand von außen hinzu, dessen Sprachkategorie unklar ist, wechseln sie intuitiv zu Hochdeutsch. Zweisprachigkeit, ganz normal. Man will ja auch verstanden werden. Zur Sprachkollision kann es trotzdem kommen. „Holen und nehmen – das Problem kriegen Sie nicht raus. Das taucht sogar in Abiturklausuren auf“, meint Pädagoge Lang etwas ratlos.

Das „Holen-Nehmen-Problem“ taucht selbst in Abiturklausuren auf.

Wo der hochdeutsche Sprecher die Tabletten „nimmt“ –  im Sinne von einnehmen -, sagen Eifeler in der Vulkaneifel: „Ich muss die Tabletten holen“. Man fragt, ob man Jemanden im Auto „mitholen“ kann. Die Nehmen-Holen-Verwechslung – Sakratjesnohmol! Das ist schief gegangen! „Sakrament“ und „Jesus“ werden im Platt abgeleitet, verkürzt und gekoppelt.  Dialektsprecher gehören eben zu den kreativsten Sprachschöpfern. Auch wenn der Wortschatz insgesamt verglichen mit dem Hochdeutschen klein ist.

Rüdiger Schausen.

Rüdiger Schausen nickt. Was Lehrer Lang festgestellt hat, sieht er genauso: „Es ist eine Bewegung drin. Mehr Ältere als früher bringen heute den Jüngeren Platt bei. Das ist relativ neu.“ Schausen leitet den Arbeitskreis Mundart beim Geschichtsverein Prümer Land. Er führt die relativ neue Wertschätzung des Dialekts vor allem auf positive Entwicklungen in der Region insgesamt zurück: „Der gute Arbeitsmarkt mit der anhaltenden Vollbeschäftigung etwa in der Verbandsgemeinde Prüm spielt eine entscheidende Rolle!“ Noch bis in die 1970er Jahre mussten viele aus der Region ihren Arbeitsplatz außerhalb der Heimat suchen. Das hat sich geändert. Es ist möglich, hier bleiben zu können. „Die Eifeler haben auch deshalb ein Selbstbewusstsein entwickelt: Wir sind wer!“ Dazu gehört, so zu sprechen, wie man es gewohnt ist.

Platt überlebt aber nur dann, wenn es gesprochen wird. Eine Verschriftlichung heißt, es zu archivieren. Immerhin. In diesem Sinne arbeiten viele Dorfvereine, wenn sie die alten Hausnamen im Dialekt katalogisieren oder, wie zum Beispiel in Birresborn, die alten Wohnhäuser mit entsprechenden Hinweisschildern kenntlich machen. Wo wie in Üxheim „Murkse“ und „Merxe“ wohnen, erzählt das nebenbei viel über die Dorfgeschichte.

Französische Lehnworte erzählen von Feldzügen und Belagerungszeiten in der Eifel.

Die Kerschenbacher an der Oberen Kyll wiederum versuchen mit einem eigenen Lexikon dialektaler Ausdrücke das Vergessen ihrer Variante des Eifeler Platt zu verhindern. Hier heißt es traditionell etwa „Fleut“ für Pfeife, eines der aus dem französischen entlehnten Worte, die in der Eifel noch heute gelegentlich gesprochen werden. Es sind sprachgeschichtliche Hinweise auf Zeiten, als über Jahrhunderte die Eifel immer wieder von französischen Truppen besetzt wurde. Kulang für die Bordsteinrinne, Fuschet für die Gabel sind weitere Beispiele.

Natürlich haben die Kerschenbacher auch ihren eigenen Ausdruck für die Kartoffel, das von den Preußen in die Eifel gebrachte Grundnahrungsmittel: Jromper. Andernorts in der Region ist von Krumper oder Schrumper die Rede. Und bei dem munteren Trio am Kaffeetisch in Ihren heißt es locker „Gromperspankisch“ – Reibekuchen. Kartoffel- oder etwa Obst-Bezeichnungsvarianten sind ein Beispiel für  das Eifeler „Dialektkontinuum“: Je näher die kleinen Dorf-Sprachgemeinschaften nebeneinander liegen, umso ähnlicher der Dialekt; je weiter entfernt, umso größer die Unterschiede.

Thomas Körsten aus Neroth kann noch die alte Geheimsprache der Mausefallenhändler, das Jenisch. Sohn Simon hält Büttenreden im Nerother Platt – einzelne Worte des in der Sprachpraxis ausgestorbenen Spezialdialektes inklusive.

Eine Sprachinsel in diesem Kosmos ist Neroth. Hier gab es einst das „Jenisch“, die  Geheimsprache der Mausefallenhändler. Mit dem Ende des Handels ist auch die Sprachvariante verschwunden. Sie wurde von ihren Sprechern nicht mehr gebraucht. Fast verschwunden muss man sagen. Imkermeister Thomas Körsten aus Neroth ist einer der Wenigen, die es noch beherrschen. Der 56-Jährige hat es in seiner Kindheit von den Eltern gelernt.

Er sucht kurz nach dem passenden Ausdruck für das, was ihm Platt bedeutet: „Platt os e Geheichnis“. Das kann man nur sinngemäß  übersetzen. „Geheichnis meint etwas, das einem gut tut. Ich beschreibe es Ihnen: Sie kommen im Winter nach Hause. Draußen ist es kalt. Und Ihre Frau hat Ihnen schon eine warme Suppe gekocht und das Kaminholz brennt.“ Ein Zauberwort.

Wenn er Kunden beim Autokauf berät, die Platt sprechen, tut das auch Automobilverkäufer Bernhard Urbanus: „Das schafft gleich eine ganz andere Vertrauensebene und erhöht die Verkaufschancen deutlich.“

Bernhard Urbanus wäre das im Berufsalltag entschieden zu romantisch. Der Automobilkaufmann beim Autohaus Mais-Glandien in Pronsfeld. Urbanus stammt aus Ormont, selbstverständlich beherrscht er sein Heimatplatt. Welchen Stellenwert das für ihn hat? „Wenn ich merke, dass ein Kunde Platt spricht, dann rede ich sofort mit ihm im Dialekt. Das schafft eine ganz andere Vertrauensebene, auf Augenhöhe. Man kann so deutlich bessere Geschäfte machen!“ Kollegen, die „nur“ Hochdeutsch sprechen, hätten es in einer solchen Situation deutlich schwerer. Platt als Geschäftsmodell.

Die drei älteren Semester am Kaffeetisch in Ihren, Renate Burkert aus Elcherath, Anton Hockertz aus Urb und Hubert Tautges, haben sich unterdessen noch einmal um den Uus, den Oos, gekümmert und geben gleich eine kleine Verständnisaufgabe in West-Moselfränkisch mit auf den Weg:  „Pack den Uus bei den Huuren, ech masten en van hannen.“ So einfach ist das Ausmisten eines Ochsen hinter dem Tier eben nicht, wenn ein Anderer es nicht gleichzeitig bei den Hörnern gepackt hat.

Teil 2: „Der Rufnamenforscher“ (13. Mai)

Literatur zum Thema
Über die Dialekte in der Eifel haben eine ganze Reihe von Autoren Bücher geschrieben, und es gibt immer wieder  Neuerscheinungen.  Zu den Dialektvarianten zwischen Prüm und der Oberen Kyll empfiehlt sich die schon auf drei Bände gewachsene Reihe „Et jit net jerannt“ mit unterhaltsamen Tageszeitungskolumnen im Trierischen Volksfreund von Fritz-Peter Linden (erschienen im KBV-Verlag/Edition Eyfalia, Hillesheim).  Wer sich für das Platt im Südkreis Euskirchen interessiert, dem sind die Bücher von Manfred Lang aus Mechernich zu empfehlen (unter anderem „Manni kallt Platt“ und „Platt ös prima!“, ebenfalls KBV-Verlag). Fritz Koenn beschäftigt sich  mit dem Dialekt seiner Heimat Hellenthal und des Wildenburger Ländchens. Koenn, 92, ist seit Jahrzehnten als „Ferkel‘s Willem“ Verfasser einer Kolumne in Platt in der Kölnischen Rundschau (Ausgabe Euskirchen-Eifel) und hat ein Wörterbuch seiner Heimatsprache verfasst.