Ausgeschnitten

Nach 58 Jahren ist Schluss: Karl-Friedrich Axmacher hat am Jahresende Schere und Rasierapparat aus der Hand gelegt: Der letzte Friseursalon in Hellenthal ist Geschichte.

Er ist selbst erstaunt. Gezählt hat Karl-Friedrich Axmacher das ja nie. Dass es rund 117.000 Haarschnitte waren? Doch die Rechnung geht so:  Viereinhalb Wochenarbeitstage – Mittwochsnachmittags hat der „Salon Axmacher“ zu -, zehn Schnitte täglich, abzüglich Urlaube und Feiertage bei 45 Wochen im Jahr, 58 Jahre lang.

Der „Salon Axmacher“ in Hellenthal.

Doch eines weiß er: „2019 werde ich 75, das ist ein Alter, wo ich sage: Jetzt ist genug!“ Ausgeschnitten! Weil er der Meinung ist: Aufhören, „wenn es am schönsten ist!“. Dann wird nach fast 59 Dienstjahren – das wäre der 15. Februar 2019 – und 51 Jahre nach der Meisterprüfung 1967, der letzte verbliebene Friseurmeister in Hellenthal die Türen schließen. Heute nennen die Anbieter der Branche sich gerne „Haircut 2000“ oder „Schnittstelle“ . An der Trierer Straße in Hellenthal hieß es einfach „Salon Axmacher“. Das reichte.

Mitarbeiterin Sylvia Köser aus Olef und ihre beiden Teilzeithilfen im Damensalon im hinteren Raum sind schon länger informiert. Köser sucht eine neue Stelle. Ihr Chef hatte zum Jahreswechsel die Arbeitsplätze, Trockenhauben, Spiegel, den mit einer weißen Marmorplatte versehenen Arbeitstisch aus dem Jahre 1931 bei den „Herren“, vorne im Geschäftslokal, noch einmal reinigen, vielleicht mit Staubschutzplanen abdecken lassen.

Karl-Friedrich Axmacher hat seitdem mehr Zeit für Anderes: Radfahren, Skilanglauf im Winter, er ist Ensemblemitglied bei den Theaterfreunden Hellenthal, Gartenarbeit, die Eifelvereinsortsgruppe. Das größte Hobby, „meine Arbeit“, werde ihm fehlen, meint der Coiffeur. Aber er will es ja so. Und seine beiden erwachsenen Töchter – Axmacher ist seit 42 Jahren verheiratet – hätten eben kein Interesse an der Geschäftsweiterführung gehabt.

Er hatte damals anders gedacht. Als 15-Jähriger hatte Axmacher sein Handwerk im Salon des Vaters, 1931 zuerst in Schleiden eröffnet, gelernt und nach der Gesellenprüfung vier Jahre mitgeholfen, bevor er 1964 die Meisterausbildung begann. 1972 hatte dann der Junior den von seinem Vater Friedrich 1949 in Hellenthal neu eröffneten Salon  übernommen: Vorne „Herren“, hinten „Damen“ – „weil die sich ja auch gerne ungestört unterhalten möchten“. Alte Schule – alte Rollenaufteilung beim Frisör. Der Vater half dem Sohn noch mit 80 Jahren.

Sylvia Köser an einem ihrer letzten Arbeitstage im „Damensalon“.

Am Ende waren 95 Prozent der Kunden beim Junior, der sich immer ums „Herrenfach“ gekümmert hat, Stammkunden. Teilweise habe er in Familien schon der dritten Generation die Haare geschnitten, meint Axmacher. Von den Großvätern bis zu den Enkeln.

„Früher“ sei das bei den Herren ja eine klare Sache gewesen, geht es jetzt ins Detail: Kurz, Ohren frei und es „musste für zwei Monate halten“, erinnert er sich. Dann seien auch die Männer Haarmode-bewusster geworden. Der berühmte „Fassonschnitt“ reicht da oft nicht mehr. Stattdessen wird ein Undercut, auch der Dutt für den Mann, der „Man Bun“, gewünscht. Letzteres habe „japanisch ausgesehen“, meint der Fachmann alter Schule und blickt kurz amüsiert. Mancher Eifeler hat zudem gerne wieder einen richtigen Bart. Was den Spezialisten für Haariges freut: 14,50 Euro kostete bei ihm der „Schnitt normal“. Das Geld, so Axmacher, machten bei den Herren „die Schnäuzer und die Bärte“.

Den alten Bart-Trimmer und den historischen Föhn hat Karl-Friedrich Axmacher nicht mehr im Betrieb, sie sind Teil seines „Salon Axmacher-Museums“.

Sollte es in den vergangenen Jahrzehnten mal etwas Neues auf dem Manneskopf  sein, hatte er für alle Zweifelsfälle die Bücher mit den Trends der Saison. Einige ausgewählte Beispiele sind im Foto an den Wänden zu sehen, teils verblichen. Ein bisschen wie der ganze „Salon“: Hier ist der Charme der 1970er und -80er Jahre hängen geblieben – aber alles perfekt gepflegt und blitzeblank!

Das kleine Emaille-Schild hat noch der Vater von Karl-Friedrich Axmacher am kleinen Geschäftslokal des Hellenthaler Friseursalons angebracht.

Den alten Bart-Trimmer allerdings und den – immer noch funktionsfähigen –  Föhn aus Eisen, Blech, Bakelit und mit Holzgriff, beides einst vom Vater übernommen,  hat der Sohn schon lange neben dem Kassentresen nur noch ausgestellt. Ein wenig Friseursalon-Museum sei sein Fachgeschäft so über die Jahrzehnte geworden, meint der Meister der Locken und der Scheitel. Die langjährigen Kunden und die Kundinnen hat das alles nicht gestört: Sie fühlten sich wohl in gewohnter Umgebung beim Mann, beziehungsweise den Damen ihres Vertrauens.

„Also es geht nur um 0,3 oder 0,5 Millimeter“, meint Robert Pelzer aus Hellenthal-Hönningen, der nach 40 Jahren zum letzten Mal  gerade Platz genommen hat, zur gewünschten Kurzschnittlänge seines Kopfhaares. Was eigentlich unnötig ist, denn Axmacher hat die „Werte“ seiner Stammkunden meist im Kopf. Auch Pelzer ist ja nun haarschneidetechnisch gesehen plötzlich heimatlos. Sieben Kolleginnen und Kollegen schneiden in Gemünd, fünf in Schleiden. Aber keiner mehr in Hellenthal. Die Kunden Axmachers aus einem Umkreis von bis zu 20 Kilometern werden sich auf eine Versuchs-Reise begeben müssen.

Karl-Friedrich Axmacher kann und will es gut gelaunt nicht ändern. Natürlich hat er versucht einen neuen Inhaber zu finden. Doch Anfragen bei der Handwerkskammer und im Kollegenkreis blieben bisher erfolglos. So war nun am 29. Dezember gegen 14.30 Uhr zum letzten Mal der Spiegel nach getaner Arbeit hinter den Kundenkopf zwecks Begutachtung. Falls dann gerade ein Kunde da war. Denn, so Axmacher, „wir arbeiten ohne Termin im Herrenfach“.

„Herrenfach“ – das hört sich einfach nach Coiffeur und städtisch an. Leicht und elegant wie die vier kleinen Schritte im Halbkreis, die Karl-Friedrich Axmacher  tausendfach um seine Kunden gedreht hat.