Nach zweijähriger Corona-Pause ist durch das Eifelörtchen Blankenheim im Kreis Euskirchen wieder der „Geisterzug“ gegangen. Manche sagen, einer der schönsten Karnevalsumzüge überhaupt.
250 „Geister“ singen den „Juh-Jah!“, das Blankenheimer Karnevalslied. In weiße Bettlaken gehüllt, mit zwei kleinen Kordeln am Kopf zu „Ohren“ zusammengebunden, eine dickere um die Hüfte, dazu viele eine brennende Pechfackel in der Hand, laufen und springen Groß und Klein in Vierer- bis Sechserreihen die alte Ahrstraße in Blankenheim hinauf. Nach links, nach rechts, manchmal so ungestüm, dass die vielen Zuschauer am Straßenrand erschrocken zurückweichen. Die ganze Straße ist von den Fackeln erhellt, von den Fachwerkfassaden springen wilde Licht- und Schattenreflexe mit.
Das ist der „Geisterzug“ von Blankenheim. „Und er ist Tradition. Wir halten sie lebendig!“ Lennart Löfgen aus Blankenheim stärkt sich wenige Minten zuvor noch ein letztes Mal aus der Getränkeflasche. Ein Blick zu seinem Kumpel Maximilian Mauel. Die beiden „Geister“ schnappen sich eine brennende Fackel. Ab 19 Uhr am Karnevalssamstagabend werden sie für rund eineinhalb Stunden vor dem eigentlichen „Geisterzug“ der weiß kostümierten Jecken als „jecke Böhnchen“ voranspringen. Immer wieder voneinander weg, dann wieder aufeinander zu. Eine gehüpfte und gesprungene Choreografie. Aus rund einen Kilometer Zochweg werden für sie so mehr als sieben.

Dass Duo stellt zwei Aktive der mittelalterlichen Bürgerwehr dar, die Uniformen aus der Zeit des30-Jährigen Krieges, die sie heute abgelegt haben, sind überliefert. Im Karneval wie im Blankenheimer Geisterzug bilden sie das Schutzgeleit des „Obergeistes“. Würde man nur die „Böhnche“ nehmen, wäre das Geistertreiben so um die 350 Jahre alt, vielleicht passt das zum Karnevalsverein Blankenheim, der mit 410 Jahren mindestens der älteste Deutschlands ist. Aber so genau weiß das keiner.
Kurz vor 19 Uhr an diesem Karnevalssamstagabend hatte auch der „Obergeist“, den das Duo beschützen soll, so etwas wie die geisterhafte Tollität mit einer skurrilen Flügelkonstriktion auf den Schultern, sein Pferd bestiegen. „Rocky“, das belgische Kaltblut, ist eigentlich als Holzrückepferd in den Eifelwäldern im Einsatz und hat eine gewisse innere Ruhe. Im Prinzip.
„Höher ist nur noch der Himmel!“ freut sich der Obergeist
„Herrlich hier oben, höher ist nur noch der Himmel“, freut sich Prinz Jürgen, Tollität im Blankenheimer Karneval, der daher auch den „Obergeist“ zu geben hat an diesem Abend. So will es der uralte Brauch. Doch Prinz Jürgen ist streng genommen sein eigener Wiedergänger. Auch den KV Blankenheim hatte es in der ersten Nach-Corona-Session erwischt. Kein Prinz weit und breit, eine Prinzessin? Lauf Beschluss der Mitgliederversammlung erstmal weiter undenkbar. Also meinte Jürgen: „Den Obergeist mache ich noch mal. Damit der Geisterzug vollständig ist. Mehr aber nicht!“
„Rocky“ solle jedenfalls am besten „immer in Bewegung sein“, so Pferdeführerin Julia Zenner. Also machen sich sieben Hexen als „Wegbereiter“ mit dem Reisigbesen für den Geisterzug an die Arbeit, in ihrer Mitte der „Teufel“ mit Dreizack. Drei Musikkapellen suchen ihre Position um den „Juh-Jah“ in Dauerschleife zu spielen, das „Schelleböumche“ geht direkt vor dem „Obergeist“ und lässt ihn ebenfalls das erste Mal erklingen. Das Quintett aus Mitgliedern des Blankenheimer Junggesellenvereins ist mit Querflöten, Trömmelchen und dem alten, selbst gebauten Schellenbaum aus Lindenholz eine Woche vor Beginn der „Tollen Tage“ allabendlich in Blankenheims Gassen und Straßen unterwegs und kündigt den nahenden Karneval an.

„Juh-Jah Kribbel in de Botz, wer dat nit hät, der is nix notz“, heißt die erste Zeile der Blankenheimer Karnevalshymne. „Das lernen sie schnell“, grinst Sarah Schwanolt aus Duisburg, die mit ihrem elf Monate alten Finn im Wickelbeutel vor der Brust und einer mehr als zehnköpfigen Clique aus Eltern und Kindern aus dem Ruhrgebiet angereist ist. Da ist die Anfahrt länger als das rund neunzigminütige Geister-Dasein. „Egal, das hat bei uns schon Tradition“ meint sie nur, dieses „einmalige Erlebnis“ sei es ihnen wert.

Auch die „Geister“ aus dem Pott springen nun erst die Ahrstraße durch Blankenheims historischen Ortskern hinauf, durchs mittelalterliche Georgstor hinaus, an einem Kreisverehr die Wende, zurück in den Ort, dann das alte holprige Kopfsteinpflastre durch das mit Bengalen erleuchtete ebenfalls mittelalterliche Hirtentor den Zuckerberg hinauf. Dort haben Geister, Hexen und der Teufel nur ein Ziel: Das Pfarrhaus, wo Pfarrer Andreas Züll mit jeder Menge Hochgeistigem versucht, Untote und den Gott-sei-bei-uns zu besänftigen.
Frank Bertram, Blankenheimer Urgestein, ist der Gehörnte unter der furchterregend schrundigen blutrot-schwarzen Horrormaske und wendet sanft den Kopf. Er grüßt zwei alte Ordensfrauen. Unmittelbar vor Betreten des Pfarrhofes passieren die Geister das „Klösterchen“, ein schmales Fachwerkhaus an der Einmündung einer kleinen Gasse in den Zuckerberg. Hier leben Schwester Benita, 85 und Schwester Edwina, 84 Jahre alt. Die Schwestern vom Orden der Armen Dienstmägde Jesu Christi sind den gut gelaunt jaulenden und schreienden Geistergrusel an Karneval gewohnt. „Ich komme aus der Kölner Gegend…“ meint Benita vielsagend, und dass sie 2024 seit 50 Jahren hier am Platze lebe, also auch fünf Jahrzehnte, die der Teufel kommt, nur um an ihr vorbeizuziehen. Wegen des Schnäpschens vom Gottesmann.

Danach kehrt der weiß gewandete jecke Zoch wieder durchs Hirtentor zurück in den Ort, schließlich zur abschließenden „Geisterparty“ in der „Weiherhalle“ am einstigen Fischweiher der Grafen von Blankenheim. Ja, das Springen und Jauchzen und „Juh-Jah-Singen“, das sei einfach die Gelegenheit „den ganzen aufgestauten Frust aus den Wintermonaten herauszuschreien, und dabei auch noch den Winter auszutreiben“, bringt unterwegs Elisabeth Gehrt aus Blankenheim, die am Niederrhein lebt, die therapeutische und meteorologische Funktion des Geisterzugs auf den Punkt. Natürlich ist auch sie „seit Jahrzehnten“ dabei, weil es einfach ein Stück Heimat ist.
Doch was sind schon 20, 30 Jahre „Geisterdasein“? „Hexen“ gibt es hier schon viel länger. Eine der sieben, die an diesem Abend ihr Ordnung stiftendes Wesen treiben, steht am Wegesrand und gönnt sich ein erstes Feierabendbier. Norbert Claßen ist 65 und „wahrscheinlich heute die dienstälteste Hexe“. Seit 50 Jahren spiele er die schrumpelige Warzenalte unter einer „echten Rosshaarperücke, die schon meine Ur-Ur-Oma als Hexe im Geisterzug getragen hat“. An diesem Abend sei die Atmosphäre entspannt gewesen, es lag aber auch kein Schnee wie früher, was zu Schneebällen führte, die sie auf die Hexe warfen, und es suchten auch keine Jugendlichen die Randale mit der Alten.
„Die Leute wollen wieder den Geisterzug, und wir wollen ihn nach der Corona-Pause auch“, hatte Stefan Leisen vom veranstaltenden Karnevalsverein Blankenheim die Ausgangslage an diesem Abend beschrieben. Nur die Gemeindeverwaltung hatte das leider nicht so ganz verstanden. Sie schaltete die Straßenlampen im historischen Ortskern nicht zur Geisterstunde um 19 Uhr aus, sondern erst 45 Minuten später. Macht nichts, sagten sich die „Geister“, ihr untotes Wesen war für 90 Minuten ohnehin nicht von dieser Welt. Als sie Blankenheim schon wieder verlassen hatten, gingen die Lampen wieder an. Da wirkte der beliebte Ahrquellenort plötzlich ausgestorben wie selten zuvor.
Text/Fotos: Eifeslchreiber