In der Buchbinderei der Benediktinerabtei Maria Laach können Interessierte das handwerkliche Binden von Büchern lernen, eine am Laacher See über Jahrhunderte praktizierte Kunst.
Der „Patient“ ist in schlechtem Zustand. 1802 wurde der bibliophile Reisebericht zum ersten Mal gebunden und erfreute seine stolzen Besitzer. Doch 200 Jahre sind selbst für ein handwerklich nach allen Regeln der alten Kunst „gebautes“ Buch zu lang. Und so hält Bruder Jakobusus Grebe OSB in der Buchbinderei des Klosters Maria Laach nur noch Teile des Ganzen in der Hand: Den Buchblock, die Deckel, der Rücken, die Kapitale. Er soll für einen Bücherfreund retten, was zu retten ist.
Der Benediktinermönch gibt sich angesichts der Aufgabe, die da auf ihn zukommt, nüchtern wie ein Arzt bei der Befundsammlung: „Die Bünde sind spröde geworden, die Fadenheftung muss komplett erneuert werden. Ein Glück, dass wir noch den originalen Lederrücken und den Deckel haben.“
Das werde schon seine Zeit dauern, schätzt Bruder Jakobus gut gelaunt. Er will auf jeden Fall wenigstens die „Scharniere“ des guten voluminösen Stücks, also die Bünde, zu retten versuchen, doch die Fadenheftung, auch der Kleber, um die Bünde am Deckel zu befestigen, muss er wohl komplett erneuern.
Das heißt: Erst muss er den alten Kleber vorsichtig mit einem sehr feinen Schaber vom Rücken des Buchblocks und den Bünden der Fadenheftung entfernen, dann die Fäden lösen. Eine Fadenheftung an einem solchen bibliophilen Liebhaberwerk zu erneuern ist Filigranarbeit: Durch den Rücken des Buchblocks wird ein Spezialzwirn über Kreuz durch Löcher genäht und verknotet, so entstehen am Ende die Bünde.
Ein Knochenleim schützt das alte Papier am besten.
Auf das Heften folgt das Befestigen des Vorsatzes, eine Doppelseite, die auch den Schmutztitel, die erste und letzte Seite des Buches, schützt. Der originale Buchrücken aus Leder wird schließlich die verklebte Verbindung zwischen dem Buchblock und dem darauf angepappten Buchdeckel sein. Bruder Jakobus wird für die Befestigungen einen Knochenleim verwenden, der sicherstellt, dass der Kleber nicht das empfindliche alte Papier des Buchblocks angreift.
Die Kapitale an Kopf und Fuß des Buchrückens, die zum Glück in diesem Fall noch erhalten sind, soll den Buchblock zusätzlich verstärken und ein Einreißen der Lagen verhindern. Sie muss der Fachmann neu an der Stelle der Heftung anbringen, wo der Heftfaden von einer Lage in die andere übergeht.
Solche Arbeiten machen in der Region heute nur noch wenige. Entsprechend weite Wege nimmt die Kundschaft in Kauf um in der Buchbinderei von Maria Laach ihre wertvollen Schätze restaurieren zu lassen. Oder sie kommen zu Bruder Jakobus, weil „der Roman, den Opa geschrieben hat, jetzt als Buch gebunden werden soll. Die Nichten wollen ihm das zum Geburtstag schenken“, schmunzelt der Geistliche.
Die Arbeit geht dem Buchbinder nicht aus.
Dazu kommen die Arbeiten für die Klosterbibliothek: Reparaturen, Restaurationen, die Bindung von Zeitschriften. An die 100 Bücher seien es aktuell, die auf der Warteliste stehen, meint Bruder Jakobus. Die Arbeit geht ihm da nicht aus.

Die wichtigste Einnahmequelle des Eigenbetriebs der Abtei, der sich wie alle Angebote in Maria Laach selber tragen muss, sind allerdings die Buchbinderkurse, die Bruder Jakobus zusammen mit der gelernten Buchbinderin Cornelia Kutz veranstaltet. Sie fielen Corona bedingt ab März vergangenen Jahres aus, 200 Teilnehmenden musste abgesagt werden. Für 2021 sind allerdings wieder 20 neue Kurse geplant.
Die alte Mühle von Maria Laach aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, wo Bruder Jakobus seit 2012 die Buchbinderei leitet, ist „dafür der richtige Ort um einmal aus dem Alltag auszubrechen und ganz Neues zu erleben“, davon ist der Geistliche überzeugt. Er hat sich das nötige Wissen in einem neunmonatigen Praktikum an der rheinland-pfälzischen Landesbibliothek in Koblenz beigebracht. Ausgelernt habe er angesichts der vielen Varianten des alten Handwerks noch nicht, gibt er offen zu.
Als er vor einigen Monaten das mittelalterliche Verzeichnis der Namen aus dem Kolumbarium der Gemeinde Boppard restaurieren wollte – aufgeschrieben sind die Namen der in der Urnengrabstätte auf dem Friedhof der Kirchengemeinde Beigesetzten – „habe ich vorher noch eine vierwöchige Fortbildung gemacht.“

Mit alldem steht Bruder Jakobus in der zwischen 1093 bis 1216 erbauten Abtei Maria Laach in einer nur durch die zwangsweise Aufhebung im Zuge der Säkularisation 1802 bis zur Wiederansiedlung 1892 unterbrochenen, Jahrhunderte alten Tradition. Heute ist die Abtei eines der wenigen Klöster in der Eifel, das noch von einem Orden bewohnt wird. Über viele Jahrhunderte war sie auch ein Ort, an dem die Trias aus Aufschreiben oder Transkribieren alter Texte im Skriptorium, dem Binden der Bücher durch den Glutinator und das sichere Bewahren der Bücher in der Bibliothek üblich war. Nach der Wiederbesiedlung der Abtei wurde daher auch gleich wieder eine Buchbinderei eingerichtet.
„Ein solide handwerklich gebautes Buch kann bei sachgerechter Behandlung und Aufbewahrung viele 100 Jahre halten.“
Was Bruder Jakobus den Kursteilnehmern heute eher spielerisch beibringt, was die Freude am Buch, und dessen Wertschätzung auslösen soll, ist vom Ursprung her eine Arbeit mit hohem Anspruch: „Wenn Sie ein solide handwerklich gebautes Buch haben, dann kann es bei sachgerechter Behandlung und Aufbewahrung viele 100 Jahre halten“, davon ist er überzeugt. Zum Beweis nimmt er ein gerade fertig gebundenes Buch zur Hand, greift mit zwei Fingern eine Seite und hält das Buch daran in der Luft. Die Seite reißt nicht. Der Qualitätstest.

Damit er dieses Ziel erreichen kann hat er keine computergesteuerten Maschinen zur Verfügung. Im Gegenteil. „Hier ist nichts jünger als 50 Jahre“, stellt er mit kurzem Blick in seine Werkstatt fest. Altgedientes Werkzeug wie etwa ein schwerer Glättehammer, mit dem die bedruckten Bögen in Form geschlagen werden – in welchem Winkel welche Schläge erfolgen sollen war einst streng vorgegeben – ist „mit Sicherheit mehrere hundert Jahre alt“. Die gasbetriebene voluminöse Prägepresse, Tonnen schwer, stammt von 1895.
Es gibt Zwirne, Nadeln und Fäden…
Es gibt Zwirne, Nadeln, Fäden für die Heftung. Bruder Jakobus hat gleich eine ganze Reihe verschiedenster Leime zur Verfügung, es gibt Pressen, Klemmen für die Trocknung des fertigen Buchblocks, er hat Pappen und Holzplatten für die unterschiedlichsten Buchdeckel.
„Manchmal waren es auch Fügungen, als man uns etwa die alte Prägepresse oder, aus der Werkstatt einer Druckerei bei Königswinter, die kompletten Sätze alter Bleilettern günstig überlassen hat.“ Aus dem Fundus der so vorhandenen alten Schriften setzt Bruder Jakobus das Prägeklischee für den Titel auf dem Buchdeckel oder dem Buchrücken. Ein Trägermaterial wird zwischengelegt, und dann muss Bruder Jakobus genau sein: „Bei der Prägung auf Leder habe ich nur einen Versuch und der muss sitzen.“ Präzision im Buchbindereimuseum.

Ein Praktikant könnte ihm bei all der Arbeit ja gerne helfen, „aber eine Lehre können wir nicht anbieten“, meint Bruder Jakobus, der den Meister im Tischlerhandwerk hat. Der Hobby-Buchbinder muss ja nicht gleich eine alte Handschrift restaurieren können. „Schon bei einem Schreibheft sind viele Arbeitsschritte enthalten, die sich später beim Binden eines Buches wiederholen“, so Bruder Jakobus. Die kleinen Halbleinenbände, alle versehen mit einem selbst gestalteten Deckel, sind sichtbares Ergebnis eines Buchbindekurses das die Teilnehmenden mit nach Hause nehmen können.
Oder sie bauen sich eine kleine Geschenkebox oder Schachtel aus Pappe. Ein Nebenprodukt in der Buchbinderei von Maria Laach. Bruder Jakobus nimmt sich eine, legt sie auf eine Holzplatte, eine zweite zum Schutz darüber, und steigt oben auf: „Sehen Sie: hält!“ Er scheint zu schweben – der knöchellange Habit verdeckt je nach Perspektive seine Füße.
INFO: www.maria-laach.de/buchbinderei/
Titelbild: Teile statt ein Ganzes: Dieses bibliophile Liebhaberstück soll Bruder Jakobus restaurieren. Dazu gehört unter anderem die komplette Umbindung. Foto: Stefan Lieser
Der Originalbericht erschien in: EIFEL HAUTNAH – DA BUCH 2021. Hier können Sie es bestellen.