1000 Stufen. 32 stöhnen kurz auf, als Bernhard Hüpgen, Talsperrenwärter beim Wasserverband Eifel Rur (WVER), ankündigt, was auf die Besucher der Führung in die Rurtalsperre zukommen wird: 500 Stufen geht es gleich hinab – und am Ende natürlich auch wieder hinauf.
Dazwischen liegen 300 Meter auf Höhe der Grundsohle, in 77 Metern Tiefe. Dort unten ist der Kontrollgang unter der „Herdmauer“, einem Stützbauwerk. Die sei, meint Bernhard Hüpgen zum Konstruktionsprinzip, „locker zwischen den Dichtungskern und gestampften Felsausbruch und Talschotter gestellt.“ Was immer das „locker“ im Herzen der zweitgrößten Talsperre Deutschlands und natürlich der größten von sechs Talsperren des Wasserverbands Eifel Rur (WVER) bedeuten soll.
So hat man beim 1. Ausbau der Rurtalsperre zwischen 1934 und 1938 ganz unten im Bauwerk die Stabilität hergestellt. Nicht daran denken, dass auf der Wasserseite theoretisch an die 200 Millionen Kubikmeter Wasser anstehen können, was für den Laien ohnehin nicht mehr vorstellbar ist.

Erst sanft geneigt, dann steil bergab geht es jetzt nach dem Einstieg durch eine kleine Tür im Vorraum des Info-Pavillons auf der Seite des Landal-Ferienparks des Damms. Treppen führen mal in kurzen, mal in längeren Abschnitten durch Röhren hinunter Richtung des Kontrollgangs. Es wird zunehmend kühler und feuchter. An der Seite läuft in einer Rinne ein stärker werdendes Rinnsaal: Grundwasser aus dem Fels im Untergrund des Bauwerks, das hochgepumpt wird.
„Hier ist alles im Eimer“, lacht Robert Stamm aus Strauch, der mit seiner Mutter angereist ist, ein paar Minuten später. Er deutet auf einen Stahleimer, der am Haken über dem Rinnsal und Mess-Apparaturen hängt. Ein Liter Wasser passt bis zur Messmarke hinein, eine ergänzende Kontrolle des Grundwasserdurchflusses. In der Betonröhre, jetzt auf halber Strecke des 300 Meter langen ebenen Kontrollgangs in 77 Metern Tíefe, wird aber auch offenbar, dass sich das über den Besuchern türmende Bauwerk bewegt. „Bis zu 40 Zentimeter pro Jahr“, so Talsperrenwärter Bernhard Hüpgen.
Fels, Lehm, Schotter – und in der Mitte eine Mauer.
Ein Damm aus Fels, Lehm, und Schotter verhält sich eben anders als eine Mauer: Er setzt sich. Nach unten, zur Seite. Alles im Normbereich, erklärt Hüpgen, und deutet auf zwei von 14 an sieben Stellen von der Dammkrone bis wenige Zentimeter über auf den Boden hängende Maurerpendel. Sie pendeln unmerklich über Skalen. Jeweils im Doppel wird kontrolliert, je ein Pendel ist zudem elektrifiziert.
Ab und zu lösen diese Pendel Alarm aus, so der Talsperrenwärter. Wenn er dann zu einem Kontrollgang hier hinunter eilt, weiß er doch zuvor aus Erfahrung, dass es ein Fehlalarm sein muss: Eine der Staudamm-Fledermäuse hat es sich dann wieder auf der Messanlage kurz gemütlich gemacht. Und wenn nicht?
Je nach Außenwitterung herrscht hier unten sogar Nebel, dann sollte Bernhard Hüpgen besser vorher wissen, wo in diesem Treppauf-Treppunter von der Decke aus ausblühendem Zement mittlerweile Stalaktiten ragen – zugegeben noch nicht unbedingt in für eine Verletzung gefährlicher Länge, ihr Gegenstück auf dem Boden, die Stalagmiten, allerdings können Stolperfallen sein.
Hochwasserschutz, Freizeitgelände – das sind heute einige Ziele des Talsperrenverbundes. Finanzier und gebaut wurden sie aus einem anderen Grund.
Nach gut 40 Minuten ist es wieder 500 Meter hinauf gegangen, und die Besuchergruppe kommt über den Ausgang des noch aus den 1930er Jahren stammenden Wärterhäuschens wieder ans Tageslicht, jetzt auf der „Luftseite“, also Rur abwärts Richtung Heimbach.
Unter der Wasseroberfläche der steil aufragenden Stauwand hinter den Teilnehmern der Führung werden zeitgleich, wie immer, kontrolliert um die fünf bis elf Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Rur abgegeben.
Hochwasserschutz, die Trinkwasserversorgung für die Region Aachen, der Freizeitwert der neuen Seenlandschaft – das waren Motive für den Bau des Talsperrenverbundes, dessen ältestes Sperrwerk die Urftstaumauer ist, sie wurde 1905 eröffnet.
Der wichtigste Grund für den Bau des den Obersee abschließenden Rurstaudamms aber war neben der günstigen Stromgewinnung dank Wasserkraft die Jahreszeiten unabhängige, gleich bleibende Versorgung der Industrie im Düren-Jülicher Raum mit Wasser. Dafür wurde 1958 das Dorf Pleushütte gegenüber Einruhr genauso wie der Weiler Weidenau geflutet. Die Bewohner wurden umgesiedelt.
„Das hier“, hatte Bernhard Hüpgen vom WVER im Infopavillon vor dem Einstieg 500 Stufen hinab ins Innere der Rurtalsperre festgestellt, „ist der Endausbau der Talsperren in der Eifel für alle Zeiten. Wir sind ja nicht in China, wo die Leute für eine neue Talsperre ihre Heimat verlieren.“ Den Hinweis, dass dieses Schicksal auch einmal Bauern in der Rureifel erlitten haben, machte er nicht.

Extra
Auch wenn man es vermuten würde: Die Rurtalsperre ist im Gegensatz etwa zur Oleftalsperre oder der Urftstaumauer im Talsperrenverbund von Rur, Urft und Olef nicht gemauert, sondern ein Damm im Mehrschichtenaufbau aus Materialien der Umgebung. Von der Wasserseite des Obersees bis zur Luftseite oberhalb des Jugendstilkraftwerks Heimbach sind gebrochener Fels, steiniger Lehm, Talschotter, ein Dichtungskern, eine Spundwand, Stufenfilter gestampfter Felsausbruch und Talschotter und erneut Lehm verbaut worden. Im Innern des Damms aber steht tatsächlich eine Mauer.
Die „Herdmauer“ über die 303,8 Meter lange Grundsohle in 77 Metern Tiefe ist zwölf Meter hoch im Lot aufgebaut und im felsigen Untergrund durch Zementinjektionen verankert. Unter dieser Mauer ist der Kontrollgang für die Talsperrenaufsicht, im Gang befinden sich alle wesentlichen Messinstrumente für die Überwachung des Damms. Dessen Krone ist 480 Meter lang und 15 Meter breit. Die Dammwand bei Schwammenauel wurde in zwei Bauabschnitten errichtet.

Zunächst zwischen 1934 und 1938, dann mit einer Aufschüttung auf der Luftseite zwischen 1955 und 1959 um 17 Meter erhöht. Bei maximaler Stauhöhe von 68,5 Metern können bis zu 202,6 Millionen Kubikmeter Wasser im Obersee gestaut werden.
Titelbild: Ein Stück Zeitgeschichte in der Rurtalsperre: „J.H.“, vielleicht damals am Bau beteiligt, verewigte sich am 1. März 1938, dem Jahr der Fertigstelllung.