„Den Stolz aufs Dorf wecken!“

Nicht jedes Dorf in der Eifel ist so selbstbewusst wie Eiserfey, Stadtteil von Mechernich. Doch immer gilt: „Das Dorf entscheidet über seine Zukunft selbst!“ Das sagt Rosemarie Bitzigeio aus Winterspelt. Die  59-Jährige ist nicht nur in der Eifel als Beraterin und Planerin bekannt. Sie ist die Ideen-Helferin fürs Dorf. Ein Eifelschreiber-Interview.

Frau Bitzigeio, sie kennen sich mit der eifeltypischen Architektur aus. Wir sitzen in Ihrem  Wintergarten, der ist zweigeschossig hoch. Typisch Eifel ist das aber nicht?
Bitzigeio: Der Eifeler ist bekanntlich sonnenhungrig, der Wintergarten ist mein „Wohlfühlraum“. Unser  Haus selbst hat wichtige Bestandteile der Eifelarchitektur: stehende Fensterformate, Steildach mit Schieferdeckung, einfacher Kubus – und eine Nutzung bis unters Dach.

In Winterspelt begann Ihre Karriere als „Dorfplanerin“?
Ja, das war ein Dorfentwicklungskonzept, das erste „funktionale DE-Konzept“ in der Region Trier.  Auch für Bleialf haben wir damals die Konzeption erarbeitet. Auf Vorschlag der damaligen Bezirksregierung nahmen dann  Winterspelt und Bleialf an einem Forschungsprojekt auf Bundesebene teil – als einzige Gemeinden von Rheinland-Pfalz. In den beiden Gemeinden war ich auch die Dorfmoderatorin – ich bin übrigens die älteste Dorfmoderatorin in Rheinland-Pfalz (lacht). Weil ich die Erste war.

Rosemarie Bitzigeio.

Was ist das Besondere an ihrem Untersuchungsansatz?
Unser Planungsbüro untersucht alle Aspekte eines Dorfes:  Infrastruktur, Wirtschaft, Siedlungsentwicklung, Ortsbild, aber auch Dorfgemeinschaft, Vereinsleben, Freizeit, Miteinander der Generationen und Soziales.

Große Dörfer haben die gleichen Probleme wie kleine Dörfer, davon sind Sie überzeugt. Wenn Sie Schulnoten vergeben müssten: Wie schätzen Sie nach Begutachtungen und Zusammenarbeit mit mehr als 200 Gemeinden die Lage in der Eifel ein?
Es gibt alles – von 1 bis 6. Das hängt letztlich alleine davon ab, wie sich die Dorfgemeinschaft engagiert. Das Dorf entscheidet über seine Zukunft selbst! Dörfer etwa in Grenznähe wie nach Luxemburg stehen oft gut da – der Arbeitsmarkt nebenan ist gut. Doch Arbeitsmarkt ist das eine, sich in einem Dorf zuhause zu fühlen, ist genauso wichtig. Wir haben unter den Eifeldörfern 60-70 Prozent Wohndörfer. Die frühere Vielfalt und das geschäftige Treiben im Dorf von Wohnen und Arbeiten sind in vielen Dörfern verschwunden. Diese Dörfer sind dann tagsüber wie ausgestorben.

Wenn Sie in ein Dorf kommen, in dem der Leerstand hoch ist, es keine Einkaufsmöglichkeiten, keine Kita oder nahegelegene Schule gibt  – wie fangen Sie dort mit der Dorfentwicklung an?
Wichtig ist, den Stolz der Bürgerinnen und Bürger für das eigene Dorf zu wecken, dann ist der Enthusiasmus der Menschen im Dorf oft groß. Und dann heißt es, gemeinsam ein „Leuchtturmprojekt“ zu entwickeln und schon mal anzufangen, denn in der Dorfentwicklung ist viel Durchhaltewille nötig.

Was macht ein Dorf lebenswert?
Das intakte Sozialleben – Vereine, Initiativen, der Wille und die Freude, etwas gemeinsam für das Dorf zu tun. Und eine gute Infrastruktur, beides muss auf einer Ebene sein, das sind die zwei Säulen, die ein Dorf tragen.

Starkes Dorf: Kalenborn-Scheuern, Landkreis Vulkaneifel: Rund 380 Einwohner hat Kalenborn, der größere Teil des Doppeldorfes: Seit gut 20 Jahren gibt es im Doppeldorf wieder einen eigenen Kindergarten – in Trägerschaft der Gemeinde: Die „Rappelkiste“. Matthias Kuhl (von links) – Inhaber eines kleinen mittelständischen Betriebes -,der „Neu-Kalenborner“ Winfried Meiers und Ortsbürgermeister Lothar Streicher finden das gut.

Was zieht denn Familien aufs Land?
Die Lust aufs Dorf muss natürlich da sein. Eine Kita, eine Schule, ein schnelles Internet – das sind für junge Menschen und junge Familien wichtige Kriterien für die Wohnortwahl.

Junge Leute wollen aber lieber weg?
Nicht unbedingt, viele würden gerne in ihrem Dorf bleiben. Oft aber ziehen sie fort, weil sie keine geeignete Wohnung finden. Das ist tatsächlich eines der größten Probleme: Wir haben in den Dörfern keine Singlewohnungen zur Miete, keine kleinen Appartements. Junge Leute wollen doch nicht gleich ein ganzes Haus mieten.

So banal ist es, die Landflucht ist nicht zu stoppen?
Junge Leute ziehen weg, etwa schon in das nächst größere Dorf, weil sie dort eine Wohnung finden, oder in die Stadt. Dann integrieren sie sich dort in Vereinen, finden Freunde. Nach einigen Jahren ist dann das Heimtagefühl weg, sie sind für ihr Heimatdorf verloren.

Wie sieht es heute in Winterspelt aus, Ihr erstes Dorfentwicklungskonzept vor rund 30 Jahren?
Hier wurde sehr viel davon umgesetzt und Winterspelt ist gut aufgestellt: 35 Gewerbebetriebe auf 820 Einwohner! Man darf sich aber nicht auf Erfolgen ausruhen. Auch Winterspelt ist im „Dorf-Check“ des Eifelkreises Bitburg-Prüm. Abwarten.

Und warum sind Sie als gebürtige Winterspelterin hier geblieben?
Das ist schon die Antwort – das ist meine Heimat. Dazu kommt: Hier ist es rundum ruhig, meine Kinder konnten hier glücklich aufwachsen, die Anonymität der Stadt fehlt, mein Mann kann Kunst machen und sich ausbreiten, Bauland ist günstig, hier gibt es genug Platz… und ich finde immer einen Parkplatz!
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