Durch die Grand-Rue zur Burg

Wer nach Vianden fährt, der besucht meist auch das mächtige Gemäuer auf dem Felssporn hoch über dem engen Ourtal. Dabei ist das 2200-Einwohnerstädtchen nicht nur die bürgerliche Siedlung unter dem feudalen Prachtbau. Ein Ausflugstipp zum Nachbarn – nicht nur im Frühling.

Der US-amerikanische Fernsehsender CNN drehte vor kurzem eine Dokumentation über die schönsten Schlösser Europas. Die Burg Vianden, die die Einheimischen im Stadtdialekt nur „Schloos“ nennen, war auch dabei. Touristiker Nicolaus Scheidweiler zuckt bei der Nachricht nur mit den Schultern: Eine solche Würdigung wundert ihn nicht. Die Burg ist mit „um die 250.000 Besuchern“ pro Jahr der Touristenmagnet Nummer 1. Das auf den Resten eines römischen Kastells erbaute, strategisch bedeutsame Befestigungswerk über dem hier engen Ourtal ist über 1000 Jahre alt. Heute ist Burg Vianden nach der Burg Bourscheid die zweitgrößte Anlage ihrer Art in Luxemburg.

Die Ourtalpromenade in Vianden, Flaniermeile unterhalb des Burgs und Teil eines 8,5 Kilometer langen Wanderweges bis zu den Nachbarorten Bivels und Stolzembourg. Foto: Visit Vianden

Immer wieder wurde die Burg über die Jahrhunderte erweitert, zuerst 1170 in großem Stil. Mit dem Tod von Maria von Sponheim und Vianden 1400 endete die gräfliche Linie, die Burg wurde durch Erbschaft schließlich vom Haus Oranien-Nassau übernommen. 1684 wurde die Burg von den Franzosen besetzt, da war aus dem vormaligen Repräsentationsbau schon ein mittelgroßer Wirtschaftsbetrieb geworden, der Getreide und anderes mehr handelte. 1820 wurde das mittlerweile zur Ruine verkommene Gemäuer dann verkauft und verfiel zunehmend. 1827 aber fand sich mit dem Herrscherhaus Luxemburg ein neuer Besitzer, der das Burg wieder aufbaute. 1977 übernahm der Staat Luxemburg, seitdem wurde in großem Stil restauriert und saniert.

Die romanische „Galerie“ auf Burg Vianden ist mit seltenen Kleeblattfenstern ausgestattet oben), der Rittersaal und ein spätmittelalterlich ausgestattetes Schlafzimmer auf Burg Vianden.

Heute komme das großherzogliche Paar immer noch ungefähr ein halbes Dutzend Mal im Jahr zu Besuch, und Vianden sei sogar einmal „im Gespräch als Hauptstadt Luxemburgs gewesen“, erläutert Hubert Schaul, Gästeführer des regionalen Tourismusverbandes Éislek. Mit ihm geht es auf einen gut einstündigen Stadtrundgang. Auch nur rund 2200 Einwohner reichen ja zur Stadt, wenn man wie Vianden seit mehr als 700 Jahren die Stadtrechte hat

Vorstadt, Oberstadt und die Burg: Vianden war lange Zeit dreigeteilt.

Doch die Burg ist eben nicht alles, und man sollte sie tunlichst separat besichtigen. Daher beginnt Schaul seinen Rundgang vor der St. Nikolaus-Kirche in der Viandener Vorstadt, auf dem linken Ourufer. Das Gotteshaus wurde 1256 vom Templerorden erbaut. Die Vorstadt gehörte ab dann zu der vom Orden betreuten Kirchengemeinde Roth, das rechte Ourufer mit der Oberstadt ging kirchenrechtlich an die Trinitarier. Zwei Pfarreien, die 1801 zusammengeführt wurden.

Nic Scheidweiler

Fünf Kirchen und Kapellen gibt es insgesamt auf Viandener Stadtgebiet. Dazu gehört auch die 1770 erbaute „Neukirche“, etwas außerhalb am Friedhof der Stadt – und direkt unterhalb der gewaltigen Staumauer der Our. Im Spätsommer dieses Jahres wurde diese Seite der Mauer vom Algenbewuchs gesäubert und dabei mit dem Hochdruckreiniger ins Mauerwerk „Kunst am Bau“ eingefräst: Porträts der beim Bau der Mauer zu Tode gekommenen Arbeiter.

Die nahe Ourbrücke mit einer barocken Nepomuk-Statue – von den Viandenern wird sie nur „Bommenzinnes“ genannt – ist das nächste Etappenziel. Hier wurde einem der bekanntesten Fans des Städtchens ein Denkmal gesetzt: Der Dichter Victor Hugo (1802-1885), Autor des Bestsellers „Der Glöckner von Notre Dame“, hat die Stadt während seines französischen Exils in den 1860er Jahren mehrmals besucht und wohnte gegenüber dem heutigen Hotel Victor Hugo.

Blick über die Ourbrücke mit barocker Nepomukstatute auf das Victor-Hugo-Haus (rechts) und das gleichnamige Hotel; gräfliche Grablege in der Trinnitarierkirche.

Sein Wohnhaus ist ein kleines „Hugo-Museum“. Am Brückenkopf wurde eine von Auguste Rodin geschaffene, eigentlich für die Tuilerien von Paris gedachte, Bronzebüste des Dichters aufgestellt. In Paris wurde sie abgelehnt, in Vianden dankbar angenommen. Robert Schumann, Europäer der ersten Stunde, kam zur Einweihung.  Alles nicht ganz von ungefähr, denn Hugo machte aus seiner Begeisterung für Vianden keinen Hehl und tat sein Möglichstes die Gegend bekannt zu machen.

Grand-Rue und Trinitarierkirche in der Oberstadt.

Nun über die Brücke und in die Grand-Rue, die sich bis zur Burgauffahrt steil den Hang hinaufziehende Hauptstraße der Oberstadt. Hier hat sich Vianden den Charme bewahrt, hier ist bis heute das eigentliche Zentrum. Einst wurde die Oberstadt von einer 1400 Meter langen Stadtmauer mit 22 Toren geschützt, darunter vier Pforten und der eckige Hockelsturm, von dem man den Ourübergang kontrollierte.

Gästeführer Hubert Schaul

Vorbei geht es an dichter, zu großen Teilen noch barocker Reihenbebauung. Immer wieder sind leider auch Leerstände und Sanierungsfälle zu sehen. Nach Angaben von Gemeindesekretär Pol Schaus fehlt derzeit ein städtebauliches Entwicklungskonzept für die Oberstadt. Ob also saniert wird, bleibt bis dahin Sache der Privatbesitzer.

Vorbei geht es auch an kleinen Einzelhandelsgeschäften wie einer Bäckerei, einigen Cafés, Restaurants und offenbar alteingesessenen Hotels. Vor Ort ist die Grundversorgung zwar gesichert, doch wenn die Viandener richtig einkaufen wollen, müssen sie das Auto nehmen. Große Verbrauchermärkte gibt es im Stadtgebiet nicht, sondern erst in Diekirch oder auf deutscher Seite in Neuerburg. Auch bei Handel- und Industrie sind Grenzen einer Kleinstadt unvermeidbar: Ein Holzverarbeiter, eine Baufirma führt Pol Schaus an. Der Tourismus spielt eben die Hauptrolle mit zehn Restaurants und sechs Hotels. Ebenfalls vergleichsweise prominent vertreten sind Gesundheits- und Versorgungseinrichtungen mit einem Sanatorium oberhalb von Vianden und einem neuen großen Alten- und Pflegheim des staatlichen Betreibers Servior.

Einer, der sich um Vianden verdient gemacht hat: Denkmal für Victor „Vic“ Abens am Viandener Rathaus.

Weiter die Grand-Rue hinauf und jetzt zum „Stadhous“, dem Rathaus, vor dem gleich zwei Denkmäler zur Viandener Geschichte auffallen. Die drei „Veiner Weisserten“ stellen Maler, Musiker und Geschichtenerzähler aus vergangenen Jahrhunderten dar. Zwischen Mai und Oktober zogen die für die Qualität ihrer Arbeit weithin bekannten Viandener Maler auf die Ösling-Dörfer und strichen dort die Hausfassaden an. Das Dorf wollte sich zur Kirmes ein bisschen aufhübschen, so Gästeführer Hubert Schaul. Und weil sie schon mal da waren, verdienten sich die cleveren Handwerker auch noch als Kirmesmusiker etwas dazu.

Die drei „Veiner Weisserten“ am Rathaus gehören ebenfalls zur Stadtgeschichte dazu.

Hinter dem Trio ragen zwei gegeneinander gestellte Bronzeplatten auf. Das Denkmal für Victor „Vic“ Abens (1912-1993).  „Abens hat sich um Vianden verdient gemacht“, meinen Touristiker Nic Scheidweiler und Gästeführer Hubert Schaul bewundernd. Der Politiker wurde von den Nationalsozialisten inhaftiert, konnte aber fliehen und wurde einer der zentralen Köpfe des luxemburgischen Widerstands gegen die Besetzung durch die Wehrmacht. Zu Ruhm kam er als es ihm zusammen mit einer Miliz im November1944 gelang, die Besetzung von Burg und Stadt Vianden durch die SS erfolgreich zu verhindern.

„Hast Du schon Vic gefragt?“ hieß es, wenn es Probleme mit den Behörden gab, denn Vic Abens kümmerte sich um die Belange der einfachen Leute.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Abens zwischen 1946 und 1981 Bürgermeister von Vianden. Er setzte sich zudem für die Belange des armen Öslings ein, dem Landstrich, der sich nach Norden ans Stadtgebiet anschließt. Aus dieser Zeit gebe es das Sprichwort: „Hast Du schon Vic gefragt?“, wenn es um die Vertretung der Interessen der einfachen Leute ging, so Hubert Schaul.

Abens war aber auch Mitgründer des Vereins der Burgfreunde Vianden und des Vereins der Geschichtsfreunde Vianden, der in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen feiert. Nicht das einzige aktuelle Jubiläum: 175 Jahre besteht die kleine Bildchenkapelle, 175 Jahre vor allem der Musikverein Veiner Musik, dem im Stadtgebiet verteilte Eisenreliefs mit der Darstellung von Musikern gewidmet sind. Und 775 Jahre sind die Trinitarier in Vianden nachgewiesen.

Das neue Seniorenheim am Stadteingang ersetzt das Altenheim im Trinitarierkloster in der Stadtmitte, das zur Jugendherberge umgebaut wird.

Dem Bettelorden schenkte Graf Heinrich I. von Vianden 1248 das kurz zuvor erbaute Hospital aus Dankbarkeit dafür, weil Trinitarier seinen während eines Kreuzzugs gefangenen Vater Graf Friedrich III. freigekauft hatten. Der Orden errichtete auf dem Gelände an der Grand-Rue sein Kloster und eine große Langhaus-Kirche. Die entsprechend dem Schlichtheitsgebot des Ordens äußerlich unscheinbare Kirche, die auch keinen Glockenturm hat – die Glocken hängen seit 1603 in dem über der Oberstadt auf einem Felsvorsprung stehenden Hockelsturm – ist Innen umso opulenter ausgestattet.

Sie hat gleich zwei barocke Hochaltäre. Sie sind seltsam versetzt in den beiden Schiffen des Langhauses eingebaut. Die Folge: Man kann bei der Andacht immer nur einen sehen. Warum so „bürgerliches Schiff“ und dem Orden vorbehaltenes „Mönchsschiff“ optisch getrennt sind, habe nach einer Legende einen besonderen Grund, so Hubert Schaul: „Die Viandener waren nicht bereit, für die vom Orden für nötig gehaltene Kirchenerweiterung zu bezahlen“.  Da wurde maßregelnd die Blickverhinderung eingebaut.

Das an die Kirche angrenzende Kloster war nach der mönchischen Nutzung erst eine Mädchenschule, bis zur Eröffnung des Seniorenheimneubaus an der Straße nach Roth dann ein Altenheim. Derzeit wird das Gebäude kernsaniert und soll die neue Jugendherberge von Vianden werden.

„Dicks Gärtchen“ erinnert an den Heimatforscher Edmond de la Fontaine.

Wenige Meter unterhalb der Kirche tauchte unvermittelt aber auch eine kleine Grünfläche am Straßenrand auf: „Dicks Gärtchen“ ist nach dem Spitznamen von Edmond de la Fontaine (1823-1891), einem weiteren für die Viandener Geschichte wichtigen Zeitgenossen, benannt. De la Fontaine gilt als einer der bedeutendsten Heimatdichter Luxemburgs, kümmerte sich aber auch um den Erhalt des alten Viandener Dialekts, und war von 1881 bis zu seinem Tod Friedensrichter des Kantons Vianden. Ein Job mit Privilegien: „Als Richter durfte er wie seine sieben Schöffen sein Wohnhaus mit einem Türmchen verzieren“, schmunzelt Stadtführer Schaul. Einige der markanten Gebäude sind noch erhalten.

Die Staumauer mit Neukirche und eingefrästen Porträts der Todesopfer beim Mauerbau. Foto: Visit Vianden

Nun wieder die Grand-Rue weiter hoch bis zur Burgzufahrt. Und da wird einem etwas anderes klar: Platz zu wachsen hat Vianden in der historischen Oberstadt, die neben der Hauptgasse nur noch Raum für kleine Verbindungsstiche bietet, schon lange nicht mehr. Auf der anderen Seite der Our schon eher. Man plane zwei Neubaugebiete, die allerdings noch nicht vom Stadtrat beschlossen sind sind, so Pol Schaus von der Verwaltung. Bestätigt ist seit der jüngsten Kommunalwahl anderes, was seit Jahren ein Thema für die Attraktivität des Fremdenverkehrsstandortes Vianden ist: Das seit Jahren geschlossene Freibad wird saniert. Zwar nicht in einer rund 100 Millionen Euro teuren Gesamtmaßnahme, aber Schritt für Schritt.

Beliebt bei den Vianden-Besuchern: Eine Fahrt mit der Seilbahn und dann durch den Wald zur Burg und die Stadt zurück. Foto: Visit Vianden

Weitere Projekte der Infrastrukturversorgung sind ein neuer Großparkplatz, mittlerweile drei Campingplätze und ein hochwertiges und ein hoch qualifiziertes Wanderwegeangebot. Die 8,5 Kilometer lange „Ourdall Promenade“ zwischen Vianden und den Orten Bivels und Stolzembourg in der zum Kanton Vianden gehörenden Gemeinde Pütscheid zählt dazu. Wer will, kann die Runde um die Schleifen zweier „Nat‘Our“-Rundwege erweitern, nahe Vianden führen auch Wege des DeLux-Naturparks vorbei. Seit 2022 ist die Region Éislek, zu der auch Stadt und Kanton Vianden gehören, aber auch „Leading Quality Region – Best of Europe“, ausgezeichnet nach den Kriterien der Europäischen Wandervereinigung. Die erste dieser Art in Europa.

Die Ourtal-Promenade verläuft in Höhe des Staudamms auch direkt am Wasser. Foto: Visit Vianden

1900 Kilometer Wanderwege sind so bewertet, unter anderem kamen 18 neue „Éislek Pied“ („Pfade durch das Éislek“) dazu. Und auch Radwanderer finden zwischen Our, Sauer und Mosel, den drei deutsch-luxemburgischen Grenzflüssen genug Alternativen. Flüsse, die nicht nur trennen: „Islek ohne Grenzen“, die Hochwasserschutzpartnerschaft Untere Sauer-Our oder die Zusammenarbeit bei der Trinkwasserversorgung machen die deutsch-luxemburgischen Anliegerkommunen gemeinsam.

Zum Abschied geht es auf den „Balkon“

Stadtführer Schaul führt zum Abschluss der kleinen Tour auf den „Balkon“ wie er es nennt, einen Aussichtspunkt oberhalb der Stadtmauer. Gegenüber erhebt sich das Burg wie auf dem Präsentierteller. Doch die einstige Macht als größter Herrschaftsbereich der Region bis weit in die heute deutsche Südeifel hinein, war spätestens mit der Aufhebung der Grafschaft 1794 und dann der Abtretung von damals noch 42 der 47 Dörfer unter Kontrolle Viandens beim Wiener Kongress 1814-15 vorbei. Die verlorenen Gebiete fielen an Preußen, einige an das Königreich Belgien.

Ist das die eine Seite der Historie, ist eine andere genauso wichtig: In Vianden wird schon immer gut gelaunt übers Jahr gefeiert. Zum „Nussmarkt“, bei dem aus den traditionell in und um Vianden herum zahlreichen Nussbäumen alles nur erdenklich Produzierte angeboten wird, kommen am 2. Oktoberwochenende „bis zu 25.000 Besucher“, so Touristiker Scheidweiler. Auch die dreiwöchigen sommerlichen „Mittelalterspiele“ auf der Burg sind beliebt. Oder das „Baachefest“, die Kirmes, der Viandener Karneval und der Weihnachtsmarkt. Gründe, das kleine Städtchen mit der großen bewegten Geschichte zu besuchen, gibt es genug.

Titelbild: Burg Vianden auf dem Felssporn und das Städtchen unterhalb im engen Ourtal: Diese Kulisse lockt pro Jahr mehrere hunderttausend Besucher an. Foto: Anabele und Jorge Valente/Visit Vianden

INFO
Burg Vianden, www.castle-vianden.lu, Öffnungszeiten: 1.11.-31.12. und 2.1.-28.2.: 10-16 Uhr. Weitere Informationen auf www.castle-vianden.lu.
Maison de Victor Hugo, 3, Rue de la Gare, L-9420 Vianden, Öffnungszeiten: 1.11.2023-31.3.2024: 11-17 Uhr; 1.4.-31.-10.2024: 11-18 Uhr. Montags geschlossen. www.victor-hugo.lu
Allgemeine Informationen zu Vianden und der Region Éislek: www.visit-eislek.lu