Neujahr an der Tanke

In der Silvesternacht haben Rettungsdienste, Polizei oder Taxifahrer Dienst, wenn Andere feiern. Und auch die Tankstelle bei Blankenheim ist offen. Als eine der Wenigen in der gesamten Eifel. Also auf zum Countdown: Die letzten 60 Minuten bis zum Jahreswechsel an der „Tanke“.

24/7/365 – diese Zahlenfolge kennt Marc Ebke natürlich auch. Sie besagt: Wir haben rund um die Uhr geöffnet,. Immer. Auch die letzte Stunde im alten Jahr, bevor es ein Neues wird. Noch 60 Minuten bis zum Jahreswechsel – doch kein Sekt ist kalt gestellt, keine Silvesterraketen warten abschussbereit. Und der Hauptnachtkassierer der Aral-Tankstelle an der B 51 oberhalb von Blankenheim ist stattdessen gerade der Küchenchef hinter dem Tresen des Restaurant-Bereiches: Heiße Würstchen in aufgeschnittenen Brötchen, Senf.

Roger und Kirsten Shorter nehmen das Angerichtete dankbar entgegen und Platz am Tisch. Das Ehepaar kommt gerade zurück von einem besonderen Silvesterausflug, der eigentlich eine Flucht war. Von Biersdorf am Stausee bei Bitburg. Nach der Pause an der Tanke geht es in 15 Minuten zurück nach Hause, nach Korschenbroich am Niederrhein.

Alles für die Vierbeiner: „Unsere Hunde kriegen beim Silvesterfeuerwerk Panik, deshalb sind wir mit ihnen um Mitternacht auf der Autobahn!“ Roger und Kirsten Shorter sind auf der Rückfahrt nach Korschenbroich, als sie kurz vor Mitternacht noch einen Imbiss in der Tankstelle einnehmen.

„Unsere beiden Leonberger-Berner Sennen-Hunde mögen kleine Böllerei. Dann kriegen die es mit der Angst. Das haben wir im vergangenen Jahr erlebt“, erklärt Roger Shorter. Also hat das Paar die beiden Vierbeiner ein Jahr später am Nachmittag ins Auto gepackt und auf ging es in die Eifel. „Biersdorf kannten wir schon von unseren Flitterwochen“, grinst Kirsten Shorter. Und zurück soll es pünktlich kurz vor Mitternacht gehen. „Den Jahreswechsel erleben wir so auf der Autobahn, die einzige Böller-freie-Zone!“ ist Roger Shorters Strategie.

Im neuen Jahr soll dann ein Kellerraum im Häuschen am Niederrhein schalldicht ausgebaut werden – die Silvesterklause für „Josef“ und „Keks“. Herrchen und Frauchen auf dem Sofa mit dabei. Das ist der Plan.

Claus Reetz vor der Silvesternachtfahrt.

Ruhig wird es hier nur zwischen 2 und 3 Uhr – in normalen Nächten.

Nein, meint wenige Minuten später Hauptnachtkassierer Ebke, die Arbeit jetzt mache ihm keine Probleme. Es ist 23.15 Uhr, da ist die Frage ja erlaubt. „Nach fünfeinhalb Jahren habe ich das im Biorhythmus.“  Und da seine Ehefrau gerade auch noch in einer Reha-Klinik ist – was soll er da alleine Zuhause in Dahlem auf den Jahreswechsel warten? Er hat sich lieber mit den Kollegen abgestimmt. Fünf müssen es pro Tag sein.

Um 21.30 war für Ebke am Silvesterabend Dienstbeginn, Schluss ist wie immer um 6.15 Uhr. Mit Wasser und Kaffee hält er sich fit. Die ruhige Zeit komme so bis gegen 1 Uhr und dann wieder zwischen 2 und 3 Uhr. Erfahrungswerte. Doch heute Abend?

Christine kommt aus Südfrankreich. Ein paar Schokoriegel und weiter zurück auf die nahe Autobahn in Richtung Niederrhein.

Ruhig ist es vielleicht in den Kojen der sieben Trucks aus Osteuropa, die hinter der Tankstelle nebeneinander stehen. Deren Fahrer jedenfalls tauchen am Tresen, an den Tischen, oder im knapp  10000 Quadratmeter großen Shop-Bereich der Tankstelle nicht auf.

Christine, die es lieber beim Vornamen belassen möchte, ist auch nur kurz da.  Es ist 23.20 Uhr und die schlanke Frau wirkt wie man so schön sagt ‚durch den Wind‘: „Ich komme gerade aus Aix en Provence in Südfrankreich. 900 Kilometer bisher. Und ich muss noch nach Versmold“. Sie stellt es mit ausdruckslosem Blick einfach fest. Ein paar Schokoriegel. Und weiter.

Der Taxifahrer hat gerade noch Pause – dann ist er bis 2 Uhr am Morgen ausgebucht.

Uwe Leyendecker aus Blankenheim hat da schon eher Zeit. Er ist seit April 2018 Fahrer bei „Taxi Dieter“ und das ist seine erste Silvesternacht-Schicht. 300 Kilometer stehen schon auf dem Tacho seit 22 Uhr. Um 1 Uhr wollen Fahrgäste von Ripsdorf nach Blankenheimerdorf, bisher ist die letzte Vorbestellung um 3 Uhr von Marmagen nach Weyer. Da kann noch einiges dazu kommen, doch jetzt hat er Zeit für „ein Käffchen und ein Imbiss mit Marc.“ Leyendecker ist Stammkunde in der „Tanke“, hat Marc Ebke Nachtdienst, kommt er eben gerne mal vorbei und leistet ihm Gesellschaft.

Andreas Buschhütter in seinem Brummi.

„Um 3 Uhr bin ich da!“ Claus aus Reetz, der einfach der Claus sein will,  meint 15 Uhr am Neujahrstag, als er eine halbe Stunde vor Mitternacht seinen Kleinwagen volltankt. Eine Fahrt in den Morgen und in den Tag hinein steht vor ihm. Bis in die Nähe von Barcelona. „Da ist ein Campingplatz. Da wollen wir unseren Osterurlaub verbringen.“

Ehefrau Alexandra steigt gerade vom Beifahrersitz aus und wundert sich nicht mehr: „Das hat er vor fünf Jahren schon mal gemacht, da ist er in der Nacht zu einem Campingplatz bei Venedig gefahren.“ Man müsse den Stellplatz vorher sehen und vor Ort checken, davon sei ihr Claus eben überzeugt. Fotos im Internet hin oder her. Also auch hier kein Neujahr Zuhause, stattdessen Küsschen für Frau und Kinder und dann der Lonesome Rider von  Reetz unterwegs nach Barcelona.

20 Minuten vor dem Jahreswechsel wird es still. Ein Pärchen holt sich noch eine Flache Sekt fürs Prosit um Mitternacht.

Noch 20 Minuten bis Mitternacht, unmerklich wird es still in Marc Ebkes Silvesternacht-Reich. Ein Pärchen sucht noch schnell den Null-Uhr-Sekt und verschwindet wieder. Andreas Buschhüter rollt derweil langsam unter die überdachte Zapfsäulenanlage für LKW-Diesel. „Heute Mittag waren noch 30.000 Liter drin“, meint er mit Blick aus der Fahrerkabine nach hinten: Ein Tankaufleger für den Rohmilchtransport zur Großmolkerei Arla im rheinland-pfälzischen Pronsfeld. Buschhüter ist auf der Rückfahrt nach Viersen, die eine Leerfahrt ist. „Naja, so 700 Kilometer“, schätzt er die Strecke insgesamt. Um Null Uhr wird er per Freisprechanlage die Familie von unterwegs anrufen, das ist klar. Aber Job ist eben Job.

Pächter Marc Ebke (rechts) und die Stamm- und Zufallsgäste um Mitternacht.

Marc Ebke kommt unterdessen zum letzten Mal im alten Jahr von der Spülmaschine in der Küche  und schleppt ein gutes Dutzend gesäuberte Teller für die Vorratshaltung am Buffet: „So viele Mahlzeiten waren es schon heute Nacht“, erklärt er und findet, dass erstaunlicherweise einiges zu tun sei. Bisher. In dieser besonderen Nacht. Später wird er mal eben alle Böden putzen, die Toilettenanlagen überprüfen und immer den Blick fürs Ganze haben. „Ich kann Ihnen einiges aus dem Leben als Hauptnachtkassierer erzählen“, deutet er nur an und schweigt.

Ein wenig sind jetzt am Tresen in der Tanke „Minuten der einsamen Herzen“.

Doch jetzt ist Piccolo-Zeit. Taxler Uwe Leyendecker nippt nur kurz, Andreas Harings, fast unbemerkt kurz zuvor einfach wie reingeschneit jetzt am Tresen sitzend, prostet zu. Harings ist ebenfalls Stammkunde bei Ebke. Man kennt sich, und da er Zuhause in Losheim keine Lust aufs Alleinsein hatte, hat er sich ins Auto gesetzt. So einfach, so ein bisschen ein Club der Heimatlosen für wenige Minuten. Am Tresen in der Tankstelle.

Er war der erste Kunde an der Tanke im neuen Jahr: Horst Greib aus Brühl ist mit seinem Abschleppwagen auf der Rückfahrt, als er kurz nach Null Uhr Pause macht.

Mitten im Raketenzauber über Blankenheim, das neue Jahr ist noch keine fünf Minuten alt, ist Horst Greib aus Brühl der erste Kunde  des Jahres. Gerade ist er mit seinem Abschleppwagen auf den Parkplatz gerollt. Ein „Pick-Up aus Trier“ sei in Köln am Abend liegen geblieben. Also habe er Auto und  Fahrer an die Mosel gebracht, dann sei er aber noch in Luxemburg günstig Zigaretten kaufen gefahren. „Jetzt habe ich Durst“, meint der Abschleppdienstler knapp. Wann er Zuhause sein wird? „Na, ich denke so um 2 Uhr. Die Kiste fährt ja nur 80 auf der Autobahn.“

Hätte er jetzt tanken müssen, hätte er den letzten Preis des alten, wenige Stunden später den ersten des neuen Jahres bezahlt. Und der war höher. Glück im Neuen Jahr! Das haben wohl so früh nur Kunden an der Tankstelle bei Blankenheim gehabt.

Silvester 2018/19

Titelbild: DieTankstelle oberhalb von Blankenheim.