Der Nahversorger

Wer auf dem Land lebt, der braucht ein Auto. Zum Beispiel, wenn er Lebensmittel einkaufen will. Denn in den allermeisten Dörfern der Region gibt es schon lange keinen Tante-Emma-Laden mehr. Deshalb kommen die mobilen Märkte einfach bis vor die Haustür. Also die Klappe des Thekenverkaufwagens hochgeklappt.

Friedhofskerzen. Die hat Björn Weidensee immer dabei. Er steuert gerade seinen „Rollenden Lebensmittelmarkt“ des Anbieters Heiko aus Neuendorf am Ortseingang von Dreis bei Wittlich vorbei. Es ist kurz nach elf Uhr an diesem Donnerstag und jetzt stehen in Dreis 35 Haltepunkte auf Weidensees Tour-Plan.

1368 Einwohner (Stand: 31.12.2018) hat Dreis. Ein großes Dorf. Wo kann man hier etwas so Simples wie eine Friedhofskerze kaufen? Im Tante-Emma-Laden? Fehlanzeige, er ist schon lange geschlossen. Der Bäcker ist immerhin noch da, auch der Metzger, die einzige noch verbliebene Dorfkneipe hat zum Glück wieder geöffnet. Friedhofskerzen führen sie alle nicht.

Alles an Bord: Björn Weidensee bedient die Kunden an einem der Haltepunkte in Dreis auf seiner Donnerstag-Tour.

Die, vor allem aber alle Lebensmittel, müssen die Dreiser in den großen Verbrauchermärkten rund um das nahe Wittlich kaufen. Wer da nicht mehr mobil genug ist, wer Niemanden hat, der ihm den Gefallen tut, der ist oft froh, wenn einer wie der 39-Jährige mit dem Heiko-Wagen vor dem Haus hält und dreimal hupt. Wenn das schon in einem so großen Dorf wie Dreis nötig ist, dann erst recht in den hunderten Eifeldörfern, die noch wesentlich kleiner sind.

Mit dem Handkarren war Emil Kottsieper in den 1950er Jahren unterwegs und verkaufte die Eier seiner Hühner.

Die Friedhofskerzen sind nun eher im hinteren Teil des bis auf den letzten Zentimeter mit Regalen und Tiefkühltruhen vollgepackten Thekenverkaufswagens verstaut. Obst, Gemüse, Fleisch, Brot, Backwaren, Getränke, Konserven liegen natürlich vorne und in den Auslagevitrinen unter der Verkaufstheke.  Rund 60 Prozent des Frischesortiments bei Heiko kommt schon von regionalen Anbietern aus der Eifel. Tendenz steigend.

Emil Kottsiepers Hühnerstall.

Mit der Lieferung von Eiern seiner Hühner hatte Emil Kottsieper in Neuendorf 1950 das heute mittelständische Unternehmen Heiko mit 122 Mitarbeitern gegründet. Wo er damals im nahen Umkreis zuerst mit dem Handwagen los zog, werden 69 Jahre später mehr als 25.000 Haushalte in mehr als 2200 Dörfern in der gesamten Eifel, an der Mosel, bis an die Ränder von Köln und Aachen von 56 „Rollenden Lebensmittelmärkten“ von Montag bis Freitag auf festen Route zu den Haltepunkten angefahren. Eier sind natürlich auch an Bord.

Dr. Reinhard Steinkamp, 64, Schwiegersohn von Kottsieper, ist seit 20 Jahren Inhaber von Heiko. Hätte er gedacht, dass sich die Mangellage bei der Versorgung mit Lebensmitteln nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderen Vorzeichen wenige Jahrzehnte später wiederholt?

Steinkamp ist von der Frage nicht überrascht. Er hat das Einzelhandelssterben auf dem Land schon seit „den 1980er Jahren“ miterlebt. Parallel wurde der Nahversorgungsdienst durch die steigende Nachfrage immer mehr ausgeweitet. In den vergangenen rund 20 Jahren macht sich zudem der demografische Wandel immer mehr bemerkbar. Die Menschen werden immer älter, auch die Zahl der Heiko-Kunden wird weiter steigen.

Die mobilen Versorger aus Neuendorf waren eine Pionierarbeit. Heute ist daraus eine kleine Branche geworden.

Mit dem Lieferangebot bis vor die Haustür leistete Heiko Pionierarbeit in der Eifel. Der einzige Anbieter ist das Unternehmen aber schon lange nicht mehr. Der „Eifeler Frischedienst“ aus Hohenfels-Essingen in der Vulkaneifel, regionale Anbieter wie etwa der Geflügelhof Lehnertz aus Habscheid in der Westeifel, Bäcker sind ebenfalls mit ihren rollenden Filialen unterwegs. Keiner bietet allerdings ein vergleichbares Sortiment aus mehreren hundert Produkten quer durch den „Food-Bereich“ in der gesamten Eifel an.

Der Schein trügt nicht: Auch in Dreis gibt es keinen Lebensmittelmarkt mehr. Die mobilen Anbieter sind die Einzigen, die in den Ort kommen und Grundnahrungsmittel verkaufen.

In Dreis hat Björn Weidensee unterdessen am schon sechsten Haltepunkt im Dorf dreimal die Hupe betätigt und die Thekenklappe geöffnet. Der Wagen steht vor der Haustür von Katharina Korzilius. Die alte Dame kommt vorsichtig mit dem Einkaufskorb aus der Haustür heran. „Ich war gerade noch beim Arzt, der hat mir Blut abgeholt“. „Das muss auch mal sein“, antwortet der 39-Jährige aus dem Wagen heraus und ein kleines Schwätzchen beginnt.

Stammkundin Katharina Korzilius.

„Das ist fast genauso wichtig wie der Verkauf“, meint Weidensee keine fünf Minuten später und startet den Dieselmotor zur Weiterfahrt. Auch Korzilius ist ja schon lange Stammkundin des Nahversorgers und dankbar, dass Weidensee ihr den Einkauf mit denkbar kurzem Weg ermöglicht. „Ich habe keinen, der mich zum Kaufen fahren würde, da müsste ich erst fragen“, so die Dreiserin. Ähnlich sieht das am übernächsten Haltepunkt Margot Steffgen, ebenfalls Ü-70, wie die allermeisten der Heiko-Kunden auch auf dieser Tour: „Dass der Wagen kommt, ist einfach gut für uns Ältere“, meint Steffgen. Jetzt aber erst mal Blumenkohl, Fleisch, Joghurt – und eine Tafel Schokolade.

„Wir wär’s mit ein paar Vitaminen?“ fragt Weidensee kurz geschäftstüchtig, bevor er die Rechnung an der Kasse ausdruckt. Und weil er das für Margot Steffgen so sympathisch macht und wo die Apfelsinen im Netz über der Theke schon so verführerisch glänzen, ist er mal wieder eineinhalb Kilo Obst los geworden.

Dr. Reinhard Steinkamp.

Gegen 14 Uhr wird er an diesem Tag die Donnerstag-Tour mit 70 Haltepunkten in Altrich und Dreis auf der Wittlicher Hochfläche, nur wenige Kilometer von der Mosel entfernt, beendet haben. Sie hatte kurz vor fünf Uhr am frühen Morgen begonnen: Start mit dem Wagen von seinem Wohnort Dudeldorf nach Neuendorf, Einladen der am Nachmittag des Vortages Online bestellten und kommissionierten Ware, und los geht’s. Ob es schneit oder stürmt, egal, wie eng die Dorfgassen auch zu sein scheinen.

Eine Woche später, kurz nach elf Uhr, wird er auf die Minute wieder vor dem Wohnhaus von Katharina Korzilius stehen, und die alte Dame wird ihm kurz erzählen, was es in ihrem Leben in der vergangenen Woche Neues gab. Irgendwann hat sie vielleicht auch „Friedhofskerze“ auf ihren kleinen Einkaufszettel geschrieben, weil sie zum Familiengrab will. Dann kann ihr Weidensee helfen. Wer auf die Schnelle auch sonst?

Bild Hühnerstall: Archiv Heiko

Hinweis: Die Veröffentlichung dieses Beitrages wird durch eine Anzeigenschaltung von Heiko – Rollende Lebensmittelmärkte unterstützt.