Der Stahlblechverwandler

Der Künstler Peter Ratz aus Eiserfey erschafft aus Edelstahlblech eine ganze Welt – und nebenbei lässt er Klimasünder auf einer „Galeere“ schuften.

Ein merkwürdiges Gefährt steht im 500-Seelen-Dorf Eiserfey in der Nordeifel: Die „EFL 2020“, zusammengebaut aus Siloaufleger, Unterkonstruktion, Wohnwagen, Kleinwagenkabine und viel Edelstahl, ist startklar und per Hydraulikpumpe 45 Grad in den Himmel über Eiserfey aufgerichtet. Eine Rakete im Eifeldorf? Alles nur ausgedacht? Dann sollte man im Dorf mal den Alten Weg an der kleinen Pfarrkirche entlang gehen.

16.50 Meter lang ist die „EFL 2020“ und drei Tonnen schwer: die erste „Güllerakete“ der Eifel. Ein Monstrum, an dessen Anfang der in der Mitte als „Kabine“ verbaute alte Wohnwagen von Ratz und seiner Ehefrau stand: „Der war im Garten geparkt und wurde schon lange nicht mehr benutzt. Meine Frau meinte eines Tages: raus damit“, so Ratz.

„Wie bekloppt muss man eigentlich sein?“ Peter Ratz lacht. Ein bisschen auch über sich selbst, aber eigentlich zitiert er mit dieser Frage ja auch das Erstaunen mancher Zeitgenossen, wenn sie hier unverhofft um die Ecke kommen. „Das ist die Güllerakete“, meint der 57-Jährige, als ob das Klarheit schaffen würde. Hier, vor diesem seltsamen „Flugobjekt“ hinter der alten Scheune seines Wohnhauses, fällt der Blick auch auf die Hügel gegenüber, wo der Ortsname in großen weißen Lettern im Hang aufgestellt ist als wären es die Hollywood Hills. Das macht das Ganze zusätzlich surreal. Man fragt sich unwillkürlich, ob das mit dem „bekloppt“ ernst gemeint ist, oder nicht.

Für Peter Ratz ist das eine rhetorische Frage. Denn für ihn sind ungewöhnliche Skulpturen nichts Besonderes. Er ist eigentlich aber Spezialist weniger für Raketen, als für die skurrilsten Objekte aus Edelstahl, vor allem für phantasievolle Figuren, die nicht nur den weitläufigen Garten seines Wohnhauses – das alte Bürgermeisteramt von Eiserfey – sondern auch die Ecken und Plätze drum herum am Alten Weg bevölkern.

Schrottrecycling und Kunst – bei Ratz geht beides.

Doch das hier ist eine andere Dimension: 16.50 Meter lang ist die „EFL 2020“ und drei Tonnen schwer. Ein Monstrum, an dessen Anfang der in der Mitte als „Kabine“ verbaute alte Wohnwagen von Ratz und seiner Ehefrau stand: „Der war im Garten geparkt und wurde schon lange nicht mehr benutzt. Meine Frau meinte eines Tages: raus damit“, so Ratz.

Klimaaktivistin Greta Thunberg auf einem Vogel Strauß, das Nudelholz schwingend, reitet zur Attacke.

Und so habe es angefangen – mit Schrottrecycling. Der alte Wohnwagen, aufgeschnitten und neu montiert, ist jetzt die Passagierkabine der „Rakete“, die nie abheben wird. Doch zuerst machten sich Ratz und die Kumpels Raimund Ullrich und Theo Weidebach von der Initiative Feykultur ans Tüfteln. Eine Idee nahm Gestalt an, von einer „Gülle-Rakete“, die aus der Stratosphäre Gülle über die Eifelfelder regnen lassen sollte – so ungefähr jedenfalls. Ein dadaistisches Kunstobjekt sollte es werden.

Was braucht eine Rakete? Zum Beispiel einen großen Treibstofftank. Ratz fand einen havarierten Silo samt Aufleger zum „Schrottpreis“ im Internet. Ein „Fahrwerk“ montierten die Drei aus der Bereifung des Wohnwagens und eines ausrangierten Kleinwagens eines Freundes. Die Fahrerkabine des Ford Ka ist nun die „Pilotenkanzel“. Eine „Rakete“ muss einen Antrieb und „Flügel“ haben. Also räumte Ratz seine große Stahlbauwerkstatt leer und machte sich an die Arbeit. Er schnitt die Teile eines riesigen Heckpropellers und für zwei Tragflächen zurecht. Dann der Griff zum Schweißgerät in der „Raketenwerft“ Eiserfey.

Als Kunstaktion hat der Feykultur-Verein mittlerweile das Ganze auch gegenüber möglichen Zuschussgebern deklariert und in seinem Förderantrag auch so begründet. „Im Silotank kann ein Mensch fast aufrecht stehen. Denkbar ist, das für eine Gesangseinlage zu nutzen oder für Livemusik“, meint der Raketenmann von Eiserfey.

Bleibt das Trumm auch langfristig an seinem Standort am Alten Weg? Das sei eigentlich nicht das Ziel, so Ratz. „Ich träume davon, sie am Eifelanstieg bei Satzvey auf eine Hügelkuppe zu stellen.“ Willkommen in der Eifel – dem Land, in dem es auch Raketen gibt.

Zur „Seiltänzerin“ inspirierte ihn ein Besuch beim Cirque du Soleil.

Abheben muss im Gegensatz dazu die 40 Kilogramm schwere „Seiltänzerin“ über dem Eingang zur ehemaligen Bürgermeisterei von Eiserfey nicht mehr. Sie schwebt in vier Metern Höhe auf ihrem Stahlseil. „Ich habe vor Jahren den Cirque du Soleil besucht, da trat eine solche Seiltänzerin auf, sie hat mich zu der Figur inspiriert“, meint Ratz. Die Dame unter dem Balancierschirm ist nach herkömmlichen Maßstäben keine Schönheit im hautengen Trikot. Die eher pummelige Frau trägt stattdessen eine Art Spitzenrock. Aber sie wirkt souverän. „Sie traut sich was, sie geht an ihre Grenzen. Sie riskiert viel“, kommentiert Peter Ratz die aus Edelstahlblech geschnittene und geschweißte Artistin über ihm. Genau das, die Suche nach dem eher Widerständigen, dem nicht Glatten, dem Absurden und Grotesken fasziniert den gelernten Bauingenieur, wenn er zu Plasmaschneider und Blechschere greift.

Eine von Peter Ratz Lieblingsskulpturen ist „Marylin“, eine Arbeit mit heute inkriminierten „Downskirting“, aber auch Kunst. Inspiriert ist die Skulptur von einem berühmten Foto, das die Schauspielerin auf dem Rost eines New Yorker U-Bahnschachtes stehend zeigt, während ein unter ihr durchfahrender Zug einen kräftigen Luftstrom auslöst, der ihr Kleid hochwirbeln lässt.

Interessiert hat ihn das bei seinen freien Arbeiten an die Zufälligkeiten der Dadaisten erinnernde Kunstkonzept schon als junger Erwachsener. Von Hause aus brachte der in Brühl im Rheinland geborene Ratz dafür einiges mit: Die Mutter Schreinerin, der Vater Bauingenieur. Da war ihm ein Grundverständnis für Materialkunde und statische und konstruktive Zusammenhänge sozusagen in die Wiege gelegt. „Meine ersten Arbeiten waren aus Holz und Glas“, erinnert er sich. Anfang der 1990er Jahre wechselte er erst zu Stahl, dann zum leichter zu verarbeitenden Edelstahlblech. In Frankfurt gründete er mit zwei Kumpels damals die Künstlergruppe „Die Krauts“. „Wir vermieteten mit unserem Konzept Art & Rent, das ich heute noch anbiete, Objekte als Eye-Catcher etwa für Messen, Events und Raves in ganz Europa“, so Ratz.

2,5 Meter hoch ist „Pandemiehoven“, entstanden im Corona- und Beethovenjahr 2020.

Anfang der 2000er Jahre führte ihn der Wunsch zusammen mit seiner Frau, die als Oberärztin hier einen Arbeitsplatz fand, und den beiden Kindern raus aus der Stadt in die Eifel. Im 500-Seelen-Dorf Eiserfey fand das Ehepaar die zum Verkauf stehende alte Bürgermeisterei samt großen Garten in bester Hanglage. Hier entwickelt Peter Ratz seitdem seine Kunst. „Ich halte Peter Ratz für einen ganz großen Künstler. Seine Technik, der Humor, die politische Kritik, und das alles kreativ zu bündeln, das können nicht viele“, lobt Maf Räderscheidt, ihrerseits in der Eifel bekannte Künstlerin aus Schleiden.

Oma wütend auf den Banker: „Herr Lehmann und die Kleinanleger“ heißt diese muntere Figurengruppe am Wohnhaus von Peter Ratz in Eiserfey.

Was sie meint, ist im Garten von Ratz, den andere als „Skulpturengarten“ eintrittspflichtig machen würden, immer wieder zu sehen. Etwa „Greta“: Die auf einem Vogel Strauß reitende Klimaaktivistin als Jeanne d’Arc, die Nudelrolle schwingend: grotesk, aber furchtlos. Sollte man sie deshalb unterschätzen? Lieber nicht.

Ratz versteckt die natürliche Grobheit des Materials allerdings nicht. Er stellt sie aus, montiert sie zur offenen Form, erzählt mit ihr seine Fabelgeschichten.

Bei dem 2,50 Meter hohen Monumentalkopf „Pandemiehoven“, entstanden im Corona- und Beethoven-Jahr 2020, wird die Meisterschaft des Edelstahlbiegers vielleicht besonders deutlich: Das wild wallende Haupthaar des Komponisten wirkt wie aus Stoff geformt. Die dicken Stahlblechbündel glitzern im Sonnenlicht, sie scheinen leicht zu schwingen. Wie immer ist aber das, was so leicht scheint, nur mit Könnerschaft zu erreichen. Erst recht dann, wenn es tatsächlich viele Kilos schwer ist.

Kirchenkritik aus Edelstahl: „Im Gegenwind“ heißt die Skulptur, die einen Bischof sich an seinen Bischofsstab klammernd, vor der Eiserfeyer Pfarrkirche zeigt.

Ratz versteckt die natürliche Grobheit des Materials allerdings nicht. Er stellt sie aus, montiert sie zu offener Form, erzählt mit seinem Pandämonium der Irrlichternden, der Fabelwesen, der Chimären und Monster immer kleine Geschichten. „Im Gegenwind“ hat er eine Figur genannt, die mittlerweile schon ihre eigene Metamorphose durchgemacht hat: „Das war zuerst eine männliche Figur, die sich gegen den Sturm mit einer Hand an einem Baum festhält, während sie in der anderen Hand eine Gießkanne hält, mit der sie den Baum tränken will“. Absurder geht es kaum. Er habe die Skulptur gleich zweimal verkauft.

Meister an der Blechschere: Peter Ratz in seiner Werkstatt mit einem Blatt Edelstahlblech.

Dann änderte sich bei der Neuanfertigung die Perspektive. Die aktuelle Variante ist auf der Mauer des Innenhofs ausgestellt, vis a vis der alten Eiserfeyer Pfarrkirche nebenan. „Im Gegenwind“ ist jetzt ein Bischof, der sich verzweifelt an seinen Bischofsstab klammert. Das sei durchaus als Kommentar zum Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und dessen Umgang mit den Missbrauchsopfern zu verstehen, aber auch eine Stellungnahme zur allgemeinen Situation der katholischen Kirche, meint Peter Ratz.

Ist der Bischof aus Edelstahlblech wie die anderen der so filigran und detailreich gestalteten Arbeiten von Peter Ratz gegenständlich und klar „lesbar“, ist anderes wie die „Trashies“, zu denen auch die Großskulptur der „Güllerakete“ zählt, bewusst verrätselter. Eine Materialassemblage, deren Herstellung auch körperlich anstrengend war. Im Ergebnis scheinbar absurd, im Detail aber erkennbar funktional.

Am weitesten gediehen ist dieser Ansatz, der an die Phantasiefahrzeuge der Steam-Punk-Bewegung erinnert, bei der „Klimagaleere“. Ratz hat sie bei den diesjährigen „Feykultur“-Tagen mit einer Theaterperformance gezeigt. Von einem Schrotthändler erstand er zunächst einen ausgeschlachteten Iveco-Kleinbus, den Ratz zur „Galeere“ neu bestückt hat. Im Fahrgastraum sind jetzt sechs Fahrräder nebeneinander aufgebaut, die Kettenantriebe mit einer Kardanwellenstange zu den Achsen mit den Rädern verbunden. „Die Klimasünder können so symbolisch ihre Vergehen abstrampeln“, grinst Ratz.

Die „Klimagaleere“, bei der Klimasünder ihre Vergehen abstrampeln können, quasi Bio-CO2-Zertifikate. Das ehemalige Bürgermeisteramt, Wohnhaus des Künstlers in Eiserfey.

Der Clou des Ganzen: „Strampeln“ die Delinquenten nur genug – natürlich galeerenmäßig korrekt von einem „Einpeitscher“ angefeuert – rollt die Galeere tatsächlich los. „Bis zu 20 Kilometer schnell“, meint Ratz. Wohin, das bestimmt ein „Steuermann“ von seinem aufgebauten „Sitz“ auf dem Oberdeck des Gefährts, an dessen einstiger abgeflachter Motorhaube Ratz einen Schiffsbug montiert hat. Das „Navi“ – ein beleuchtbarer Globus, der neben dem Steuerrad steht – wirkt allerdings eher sinnlos. Wie auch das „Segel“ am Mast: ein schwerer verschlissener Teppich.

Vier Monate habe die Arbeit an der „Galeere“ gedauert, meint der Künstler zu seiner neben der „Güllerakete“ bisher aufwändigsten Arbeit. Und er hat nicht unbedingt die Hoffnung, dass sich eines Tages ein Kaufinteressent für die Großskulptur finden wird. Aber vielleicht der eine oder andere Veranstalter von Kunst- oder Stadtfesten, der ein bisschen politischen Anspruch in seine Veranstaltung bringen will und dafür reuige „Klimasünder“ sucht.

Zum Ortsjubiläum von Eiserfey hatten Peter Ratz und die Freunde aus dem Kunstverein „Feykultur“ die Idee, den Ortsnamen in riesigen weißen Lettern in den Hang oberhalb des Dorfes zu stellen. Die Hollywood Hills im oberen Feybachtal.

Titelbild: Die „Seiltänzerin“, eine der bekanntesten Edelstahlblechskulpturen von Peter Ratz, begrüßt die Besucher auf dem Hof in Eiserfey. Fotos: Eifelschreiber