In St. Luzia in Eschfeld im Islek hat sich der damalige Pfarrer Christoph März ein Denkmal gesetzt: Er hat die Kirche zwischen 1906 und 1921 mit mehr als 1000 Figuren in biblischen Szenen komplett ausgemalt. Heute ist die äußerlich eher schmucklose Pfarrkirche eines der bemerkenswertesten Gotteshäuser der gesamten Eifel.
Dass er ausgerechnet vom Gerüst fiel, und an den inneren Verletzungen, die er sich beim Sturz zuzog, starb! Johanna Banz, Kirchenführerin in St. Luzia in Eschfeld, erinnert das dann doch an ein tragisches Schicksal. Denn auf einem Gerüst stehend, das war schließlich fast so etwas wie ein Markenzeichen von ihm, von Christoph März, Pfarrer in St. Luzia.

Jetzt kramt sie eine gelbliche Kopie eines Schwarz-Weiß-Fotos aus der Handtasche: Zu sehen ist offensichtlich ein Pfarrer ausweislich der schwarzen Soutane. Er steht auf wackeligen Holzbohlen eines Malergerüstes, die Palette und den Pinsel in der Hand – und malt.
„Hier in der Kirche war das“, so Banz, „aber tödlich gestürzt ist er von dem Gerüst, das ihm Helfer an seinem 1928 neu erbauten Pfarrhaus errichtet hatten.“ 1931 fand Christoph März, 1867 in Schweich an der Mosel geboren, seit 1899 an die Pfarrei St. Luzia im kleinen Eschfeld im Islek berufen, so den Tod. Man brachte den Schwerverletzten noch ins Krankenhaus nach Prüm, doch es war zu spät. Auf dem Sterbebett soll sein letzter Wille gewesen sein, ihm einen Pinsel ins Grab mitzugeben, da er glaube, dass es sicher auch im Himmel noch einiges zu verschönern gebe. So die Legende.

Pfarrer Christoph März scheint von diesem „Verschönerungsauftrag“ ein Leben lang besessen gewesen zu sein, ob es seine Interpretation des geistlichen Missionarsauftrages war, oder einfach seine Leidenschaft. Was für ein Typ: Als gottesfürchtig, autoritär, durchsetzungsstark, aber auch als humorvoll, tolerant, weltoffen wird er beschrieben. So habe ihn auch ihre Mutter, die noch im von März 1899 gegründeten Gemischten Chor von Eschfeld mitsang, erlebt, erinnert sich Kirchenführerin Johanna Banz.
Um sein Ziel zu erreichen, unternahm der Pfarrer zahlreiche Bildungsreisen.
Erst die Sängerinnen und Sänger – der Chor wuchs bis auf 70 Aktive – dann 1900 die Gründung eines Violinen-Orchesters, 1901 dazu eine Bläsergruppe. Der Herr Pfarrer kümmerte sich ums dörfliche Vereinsleben. Natürlich nicht ohne Eigennutz: Chor und Musiker verschönerten auch seine Gottesdienste.
„Unser Musikverein führt sich so auf diese Gründungen von Pfarrer März zurück“, so Johanna Banz. Auch mit diesem Detail verewigte sich Pfarrer März in den Eschfelder Annalen. Er, der nach zehnjähriger Abstinenz wieder der erste Pfarrer in Eschfeld war. Hier im Islek stand ihm sein Lebenswerk aber noch bevor. Das war ihm schon bei Dienstantritt 1899 klar. Noch fehlte ihm das Rüstzeug, es umzusetzen.
Um sein Ziel zu erreichen, unternahm der Geistliche zahlreiche Bildungsreisen. Sie führten ihn nach Rom und Florenz, wo ihn die Frührenaissance-Malereien Fra Angelicos und die skulpturalen Arbeiten Michelangelos beeindruckten. Der Eschfelder Pastor nahm aber auch zum Beispiel Unterricht im Zeichnen, in Linienführung, Perspektive und Konturtechnik beim Symbolisten und Jugendstilmaler Ewald Mataré in Berlin; er staunte in den großen europäischen Sammlungen über die Kunst der Alten Meister.
Alles für diesen Moment: Vorbei am alten Teil des Kirchenfriedhofes – rechts ist das Grab von Pfarrer Christoph März – geht es durch die kleine doppelflügelige Kirchentür von St. Luzia ins Gotteshaus hinein. Und der Besucher ist überwältigt.
Bis in den letzten Zwickel der Gewölbebögen und Gewölberippen ist die Kirche ausgemalt. Alle Fensternischen, natürlich alle Decken und Wände zwischen den Jochbögen, die beiden Seitenschiffe, alle Vertäfelungen. Überall ein realistisch gemaltes Bildpersonal, dazu Kriegsszenen, wilde Reiterhorden in der Vierungsdecke, gnadenvoll wirkende Apostel an den Seitenfenstern, Verzierungen, Rundbilder und Ornamente.

Alleine über 1000 Figuren und 150 Tiere hat Pfarrer Christoph März, teilweise unterstützt von talentierten jugendlichen Helfern aus dem Dorf, nach einem genauen vertikalen und horizontalen Bildprogramm in seiner Pfarrkirche in Szenen gesetzt, die Menschen sind dabei idealisiert. Zentrale Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament, aus dem Leben Jesu, Mariens, der Hauptkirchenpatronin Luzia, die komplette Ahnenreihe der Päpste von Petrus bis Franziskus ist zu sehen. Nach März‘ Tod wurde die Ahnenreihe der Kirchenobersten von Patrick Kremer aus Dasburg weitergeführt.
In der Vierung geht es in vier Szenen etwa um das Eingreifen himmlischer Mächte; dazu zeigen acht Rundbilder in den Gewölbespitzen das Wirken Jesu als Richter und Erretter. Rundgemälde von den vier Propheten, den vier Evangelisten und den vier Kirchenvätern kommen dazu.
Die gesamte Gewölbearchitektur – Bögen und Rippen – sind mit immer individuellen Ornamenten verziert. Die von Pfarrer März selbst gezimmerten Wandvertäfelungen zieren 116 unterschiedliche Rosetten, dazu Darstellungen der sieben Sakramente, der sieben Weihegrade des Priesters, der sieben Werte der Barmherzigkeit und der sieben Tugenden.
Was fehlt ist ein Kreuzigungsmotiv. Es wird durch ein Ölgemälde der Van-Dyck-Malerschule ersetzt.
Die fünf Abteilungen des Hauptschiffes zeigen an der Decke etwa Musik zu Ehren Gottes, die Geburt Jesu und die Anbetung der Könige, das Wirken Jesu und die Verkündigung. In diesen Bildern sind die Einflüsse norditaliensicher spätmittelalterlicher Kirchenmalerei unverkennbar.

Der überquellende christliche Bilderkosmos zeigt allerdings einiges nicht, etwa keine Kreuzigungsmotive. Stattdessen hängt an der Seitenwand im Chor ein Ölgemälde aus der flämischen Van-Dyck-Malschule. Das Bild kaufte Pfarrer März aus eigenen Mitteln. Er wollte es offenbar nicht durch seine Gemälde kommentieren.
Alles zusammen ist so ein ganzes katechetisches Bildprogramm mit klarem Bildungsauftrag entstanden. Ein verständliches, nahbares Heilsgeschehen, das seine Wirkung bei den gottesfürchtigen Eschfeldern nicht verfehlt haben dürfte. Der malende Pfarrer durchdachte dabei alles bis ins Detail. Als zentrale Farben verwendete er in der Kirche Blau und Gold, die seit der geistlichen Handschriftenmalerei des Mittelalters bekannten Symbolfarben für die Gnade und das Überirdische.

Doch im Hauptwerk der Bilder-Zyklen in St. Luzia fehlt diese Anbindung ans Überirdische. Weder Blau noch Gold tauchen in der „Sintflut“ auf. So heißt das deckenhohe Wandgemälde gegenüber dem Altar. Es ist ein dramatisches apokalyptisches Weltgerichtstheater. Hier hat Christoph März sein expressionistisches, narratives Meister-Bilderstück abgeliefert. In starker Zentralperspektive zeigt es die biblische Flut, die sich durchs Dorf wälzt und Mensch, Tier, Hab und Gut mit sich reißt.
Diese „Sintflut“ packt den Betrachter sofort.
Verzweifelt versucht sich ein Bräutigam zu retten, seine schon ertrunkene Braut treibt tot neben ihm im Wasser. Ein König klettert auf die Zinnen eines offenbar rettenden Turms im Bildvordergrund, der um die doppelflügelige Kirchentür gemalt ist. Er beugt sich aus dem Bild – ein Trompe L’Oeil-Effekt wie im Barock – um auf einem Barometer den Luftdruck zu kontrollieren. So viel Humor muss dem Pfarrer selbst in diesem düsteren Endzeitbild recht sein. Doch tatsächliche Hoffnung signalisiert nur ganz hinten im Bild, noch über der mit einer Leiter erreichbaren Wandtür in den Kirchturm mit dem Glockengeläut, eine unter göttlichem Lichtstrahlbündel aus schweren Unwetterwolken dümpelnde nussschalenkleine Arche Noah.
Diese „Sintflut“ packt den Besucher – umso mehr die Gläubigen, die sie erst bei Verlassen der Kirche nach der heiligen Messe oder der Andacht sehen können.

Einige Eschfelder standen Modell.
Gemeindeschäfchen dieses furiosen Maler-Pfarrers sind auch in einigen der mehr als 1000 Figuren verewigt: Ein vollbärtiger Maurer aus Eschfeld stand dem Moses und Aaron Modell; ebenso ist Margarete Müller, sie soll März’ liebstes Modell gewesen sein, so Kirchenführerin Banz, immer mal wieder auf Bildern zu erkennen. Wenn man’s weiß. Müller, eine der letzten Eschfelderinnen, die Pfarrer März noch gekannt haben, ist 2007 verstorben.
Auch im saarländischen Wiebelskirchen hat Christoph März die Pfarrkirche ausgemalt, in Eschfeld hat er zudem im 1928 neu erbauten Pfarrhaus einen besonderen „Comic Strip“ hinterlassen: Entlang einer Bordüre im Zimmer seiner Haushälterin hat er den Tagesablauf der treuen Seele in munteren kleinen Szenen dargestellt. Die Aufgaben übernimmt ein geschlechtsloser kleiner Engel.
Wer so konsequent sein Talent auslebt, der ist nicht unumstritten. Dienstvorgesetzte von Pfarrer März wollten den kreativen Geistlichen sogar versetzen lassen. Doch eine Petition der Eschfelder verhinderte das.
Malen konnte er nur bei günstigen Tageslichtverhältnissen und in den Sommermonaten: Die Kirche war noch nicht beheizt.
1921 feierte Pfarrer Christoph März stattdessen mit seiner Pfarrgemeinde das „Fest des letzten Pinselstrichs“. An einem kleinen Kreuz an der Seitenwand des Altarraumes, die letzte von hunderten Detailformen und Figuren, „malte März den Senkrechten, sein Helfer den Querstrich“, so Kirchenführerin Johanna Banz.
Ihrem Pfarrer, der nur bei günstigen Tageslichtverhältnissen inmde Sommermonaten auf den wackeligen Bohlenbrettern an seiner Mission arbeiten konnte – der Ort war noch nicht ans Stromnetz angeschlossen und die Kirche zudem unbeheizt –, haben die Eschfelder ein Denkmal gesetzt. Direkt am Eingangstörchen zum Kirchengelände steht eine Sandsteinskulptur: Der Pfarrer in Soutane und mit Bäffchen, Palette und Pinsel in der Hand.
INFO
Ein informativer, reich bebildeter Kirchenführer ist in der Kirche erhältlich. Weitere Informationen auch zu Führungen in St. Luzia hier.
Titelbild: Blick auf das Gemälde „Sintflut“
Erstveröffentlichung in „Vulkaneifel – Heimat hautnah. Das Magazin„