„Wie hast Du’s mit der Religion?“

2018 traten 10.096 Katholiken im Bistum Trier aus ihrer Kirche aus. Der nach 2016 (10.729) zweithöchste Wert in der Bistumsgeschichte. Und jetzt sollen auch noch die Pfarreien drastisch auf nur noch 35 Großverbände zusammengefasst werden. Um Himmels willen…

Barbara Igelmund greift zum Streichholz. „Als ich vor 18 Jahren als Küsterin anfing, da wollte oder konnte es ja kein Anderer machen.“ Sie entzündet die beiden großen Kerzen vor dem Altar der Pfarrkirche St. Michael in Steffeln, dann vier auf dem Altar. Sie legt Karaffen mit Wasser und Wein und eine Waschschale zur Gabenbereitung in der Heiligen Messe bereit, ein Deckchen kommt auf den Altar, das Mikrofon an Ambo und Altar wird eingeschaltet. In der Sakristei werden Albe, Stola und Kasel für den Pastor, die Gewänder für die Messdiener bereit gelegt. „Es sind vier, wenn die nicht gerade Fußball spielen müssen“, erklärt die 81-Jährige.

Kirchenalltag in der Eifel: Auch die Bänke in St. Silvester in Hohenfels bei Gerolstein sind am Samstagabend bei der Vorabendmesse nur spärlich besetzt.

Wenige Minuten später wird auch an diesem Samstag die Vorabendmesse zum Sonntag beginnen. „An die 50 vielleicht“, meint Igelmund. Mehr Gläubige werden es nicht sein. Das ist mittlerweile viel für einen kleinen Ort.  Altersdurchschnitt: Ü60. „Die Kinder fehlen. Das liegt aber nicht an den Kindern. Wenn schon die Eltern nicht mehr kommen…“ Igelmund lässt den Satz offen. Man kann sich die Vervollständigung ja denken. 10.096  Gläubige traten 2018 im Bistum Trier aus ihrer Kirche aus. Der nach 2016 (10.729) zweithöchste Wert in der Bistumsgeschichte. Und glaube keiner, die Evangelischen Landeskirchen blieben vom Trend unberührt.

Noch steigen die Kirchensteuereinnahmen – doch eine Trendumkehr ist absehbar.

Doch immer noch sind rund 1,3 Millionen der katholischen Amtskirche im Bistum treu, gut 50 Prozent der Bevölkerung im Sprengel, das mit einem Anlagevermögen von rund 759 Millionen Euro (Stand: 2016) nicht zu den Reichsten unter den 27 Bistümern in Deutschland gehört. Da liegt das Erzbistum München-Freising mit rund 6,26 Milliarden Euro Vermögen (Stand: 2016) uneinholbar vorne.

Fast 6,43 Milliarden Euro an Kirchensteuer haben die katholische Kirche, rund 6,7 Milliarden Euro die evangelischen Landeskirchen 2017 alleine von den Finanzämtern erhalten. Die Abgabe, gekoppelt an die Lohn- und Einkommensteuer, spiegelt die gute Wirtschaftslage im Land. Dennoch: 2018 traten bundesweit 220.000 Katholiken und 216.078 Protestanten aus ihren Kirchen aus. Die noch dabei bleiben, werden zudem im Durchschnitt immer älter. Aber Rentner bezahlen keine Kirchensteuer. Und es kommen immer weniger neue, jüngere Gläubige dazu. Bleibt es so, relativiert sich langfristig der aktuelle Wohlstand der Bistümer.

Dr. Helmut Dieser, heute Bischof von Aachen, sagte 2016 als noch Weihbischof von Trier: „Jeder Kirchenaustritt ist einer zu viel und er schmerzt mich!“

„Jeder Kirchenaustritt ist einer zu viel und er schmerzt mich!“ Das stellte der heutige Aachener Bischof Dr. Helmut Dieser schon 2016 in einem Interview mit Eifelschreiber fest, damals war Dieser noch Weihbischof in Trier. Er gibt sich Mühe zu erklären, was auch im Dekanat St. Willibrord Westeifel mit fünf Pfarreiengemeinschaften zwischen Prüm, Bleialf, Waxweiler, Neuerburg und Arzfeld, schon lange Tatsache ist. „Ein Kirchenaustritt ist ja auch ein Zeichen dafür, dass Menschen die Kirche nicht mehr als die Sache Gottes mit uns konkreten Menschen erkennen können, sondern ihr unterstellen, sie sei nur ein Menschenunternehmen. Sie ist aber beides!“

Anke Laub aus Gerolstein formuliert es bei einer kleinen Umfrage im St. Matthias-Gymnasium von Gerolstein klarer: „Die mangelnde Emanzipation in der katholischen Kirche, die Scheinheiligkeit, die Doppelmoral: Armut predigen, aber im Wohlstand leben, das Altmodische – das gefällt mir nicht“. Doch sie ist bei aller Skepsis nicht ausgetreten. Kirche –  da unterscheidet sie die Institution von ihrem Glauben. Laub etwa engagiert sich: „Ich spiele in der Musikgruppe ‚Miteinander‘ mit. Wir machen die musikalische Untermalung von Gottesdiensten“.

„In der Kirche zu sein, oder nicht – das ist die Freiheit jedes Einzelnen. Das muss unsere Kirche aushalten können!“

Für Pfarrer Pius Krämer, seit 2009 einer von zwei hauptberuflichen Geistlichen in der Pfarreigemeinschaft Gerolsteiner Land mit rund 9000 Gläubigen, ist auch Anke ein Hoffnungszeichen. Der gebürtige Saarländer hat gerade in St. Sylvester in Hohenfels eine Vorabendmesse gehalten. Die Kirche ist hell, gepflegt, Blütenornamente schmücken die Fensterlaibungen des 1894 erbauten Gotteshauses, Sitz- und Kniebänke sind gepolstert. Krämer predigt lebensnah, gut geschult, knappe fünf Minuten lang. Dazu gegen Ende der  40-minütigen Heiligen Messe eine Meditation. 100 Sitzplätze hat die Kirche. Doch nur rund 30 Gläubige hören ihm zu.

Pfarrer Pius Krämer ist seit 2009 einer von zwei hauptberuflichen Geistlichen in der Pfarreigemeinschaft Gerolsteiner Land mit rund 9000 Gläubigen.

„In der Kirche zu sein, oder nicht – das ist die Freiheit jedes Einzelnen. Das muss unsere Kirche aushalten können!“ Pfarrer Krämer fordert ein, was er akzeptieren muss. Zum Beispiel das Gläubige aus „einer ganz allgemeinen Frustration über die Kirche“ zum Standesamt gehen um sich abzumelden. Noch 300 Gläubige von rund 4000 der St. Anna-Gemeinde in Gerolstein sind es, die regelmäßig die Gottesdienste besuchen. Das ist ein gefährliches Missverhältnis. Aber an die 60 aktive Christen sind es im 220-Seelendorf Duppach. „Selbst hier im ländlichen Raum merken wir eine Glaubensdifferenzierung zwischen Kleinstädten und Dörfern“, so Krämer.

Birgit Wagner und Gabi Grett aus Pelm und Hildegard Knechtges aus Hohenfels-Essingen halten Krämer die Treue. Blauäugig sind sie deshalb nicht: „Die Amtskirche hat Ecken und Kanten“, meint Birgit Wagner. Hildegard Knechtges wiederum ist sich sicher: „Eine andere Religion wählen? Nein. In der katholischen Kirche zu sein, das ist bei uns Tradition. Auch meine beiden Söhne sind dabei.“ So verbindlich ist die Mitgliedschaft längst nicht mehr in allen Familien.

Das „Strukturkonzept 2020“ im Bistum Trier – Tod des Ehrenamtes?

Die drei Freundinnen hat jedoch stark verunsichert, was im gesamten Bistum Trier nach dem „Strukturkonzept 2020“ als Ergebnis einer zweieinhalb Jahre tagenden Synode geplant ist. Die Zahl der aktuell 863 Pfarreien soll in zwei Schritten auf 35 Großpfarreien reduziert werden. Unter dem Motto „heraus-gerufen“ wird um Verständnis für die Notwendigkeit dieses bundesweit beachteten Reformprozesses geworben.

Schafft sich die Amtskirche aus schierem Zwang zu Effizienz und Kosteneinsparung langsam selber ab? Was die Umstrukturierung im Bistum Trier bedeuten wird, kann man nun in der ersten Phase ab dem 1. Januar 2020, in der zweiten ab dem 1.1.2021 mitverfolgen. Die Eifelpfarreien sind im Wesentlichen erst 2021 dran.

Damit verbunden ist auch eine Reform der Gremien in den neuen 35 Großpfarreien, die in ihrem Zuschnitt nicht mehr viel mit den bekannten Strukturen zu tun haben werden. In einem neuen „Leitungsteam“ werden künftig pro Pfarrei 1 Pfarrer, 2 Hauptamtliche und 2 Ehrenamtliche sitzen. Die neue „Pastoralkammer“ und die „Vermögenskammer“ sind hiervon getrennt. Sie arbeiten mit dem „Leitungsteam“ zusammen beziehungsweise beaufsichtigen es in allen haushaltsrelevanten Fragen (durch die Vermögenskammer). Die zwei genannten Kammern bilden wiederum den „Rat der Pfarrei“.

Die „Pfarreien der Zukunft“ im Bistum Trier. Hell eingefärbt ist die Umstellungsphase 20121 – dann sind auch die meisten Eifel-Pfarreien im Bistum an der Reihe.

Die Umsetzung all dessen – es müssen zunächst Wahlen abgehalten werden – wird in den vielen, kleinen Pfarreien, in denen die Zusammenarbeit zwischen Geistlicher Führung und Ehrenamtlichen oft gut und vertrauensvoll funktioniert, zu Zerwürfnissen führen. Experten gehen fest davon aus,  dass zahlreiche Ehrenamtliche ihren Dienst quittieren werden.

„Das werden wir hier vor Ort zu spüren bekommen“, kommentiert Pfarrer Krämer die Pläne. Im  Klartext: Noch mehr Arbeit für ihn, für die beiden Gemeindereferentinnen. 23 Dörfer, das sind 23 Kirchen in sieben Pfarreien, die er und sein Pfarrerkollege Gerhard Schwan schon jetzt versorgen müssen. Arbeit ist da genug. Seelsorgerische Arbeit wird in Zukunft nur unter noch stärkerer Mithilfe von Laien etwa bei neuen Formen der Wortgottesdienste oder bei Tagesmeditationen möglich sein.

Eine große Tradition: Die Wallfahrt von Prüm und Waxweiler nach Echternach zur Springprozession, hier unterhalb von Krautscheid. Doch die Zahl der Pilger nimmt in den letzten Jahren ab.

Wann ist zukünftig überhaupt noch der Pfarrer vor Ort? Er muss bald noch mehr „sesshaft und mobil zugleich sein. Es ist die Spannung zwischen Ortshaftigkeit und Wegcharakter, wie sie auch im Glauben selbst enthalten ist“, versucht Bischof Dieser eine theologische Begründung dessen, was die Gläubigen vor Ort als Mangel empfinden und als den „Pfarrer mobil“ erleben.

Wenn schon kein Pfarrer mehr da ist –  die Kirche selbst bleibt aber im Dorf geöffnet? Selbstverständlich ist das nicht mehr.

Wenn schon kein Pfarrer mehr da ist –  die Kirche bleibt aber doch im Dorf? Das wird im Bistum nicht mehr selbstverständlich sein. Was auf Basis eines bistumsweit erstellten Immobilienkonzepts als „überzählig oder/und nicht mehr finanzierbar identifiziert wird“, so Bischof Dieser für das Bistum Trier vor drei Jahren, „dafür muss vor Ort eine alternative Finanzierung angestrebt werden. Oder wir müssen uns von diesen Gebäuden trennen“. Diese Einstellung hat sein Nachfolger auf dem Trierer Bischofsstuhl, Dr. Stephan Ackermann, übernommen.

Was gemeint ist, stellte sich im Haushaltsplan – hier der von 2016, aber die Eckdaten haben sich nicht wesentlich verändert – so dar: 157,8 Millionen Euro an Personalkosten, 13,8 Millionen Euro für die  Finanzierung der Kirchengebäude, 26,8 Millionen Euro an Baukostenzuschüssen. Dabei sind die schon drastisch reduziert. Ein Beispiel in der Region ist die dringend nötige Innenraumsanierung der St. Salvator Basilika in Prüm. Rund 2,2 Millionen Euro kostete sie, rund 780.000 Euro kamen vom Bistum, 652.000 Euro von anderen Zuschussgebern wie der EU. Den Rest musste die Kirchengemeinde aufbringen. Der Verein Basilikafreunde e.V. sammelte Spenden, in Eigenleistung beteiligten sich Mitglieder an den Arbeiten, um die Kosten weiter zu reduzieren. Das ist kein Einzelfall.

Blick auf den Altar in der Salvator Basilika in Prüm. Der Innenraum der zweitgrößten Kirche im Bistum Trier wurde gerade für rund 2,2 Millionen Euro saniert werden. Das Bistum beteiligt sich nur mit rund 778.000 Euro an den Kosten.

Das Engagement der Gläubigen für ihre Kirche vor Ort wird in der Eifel nicht nur an einem solchen Beispiel deutlich. Und das, obwohl die katholische Kirche die bekannten großen inneren und strukturellen Probleme hat, wie es auch Papst Franziskus mehrfach unmissverständlich klar gemacht hat.  Gerade in dieser Phase entfernt sich die Kirche im Bistum Trier personell von den Gläubigen und   Gotteshäuser stehen auf dem Prüfstand. Auch deshalb fällt Manchem die Motivation schwer, dabei zu bleiben. Hat, wer so zweifelt, deshalb weniger Glauben?

Behauptet sich die Volksfrömmigkeit gegen alle Negativtrends?

Auf der Suche nach Antwort stößt man auf die Volksfrömmigkeit, die in der Region eine mehrere hundert Jahre alte Tradition hat und von der Amtskirche mehr oder weniger abgekoppelt ist. Zum Beispiel an Pfingsten die Wallfahrt aus Prüm und Waxweiler nach Echternach zur Springprozession.  Bis zu 400 Pilger über 68 Kilometer können es sein. Alois Engel aus Ellwerath ist seit 1997  Wallfahrtsleiter und seit Jahrzehnten Pilger. „Das ist eine Wellenbewegung. Die Zahl geht  seit vielen Jahren Schritt für Schritt zurück. Zwischendurch steigt sie sprunghaft an, erreicht aber seit den 1970er Jahren nicht mehr das alte Niveau“. Die Teilnehmer sind im Schnitt „immer älter geworden“, so Engel. Der Negativtrend ist auch hier angekommen.

Ortshistoriker Werner Grasediek an der Marienkapelle oberhalb von Steffeln. Die Einwohner erbauten die Votivkapelle als Dank dafür, dass ihr Ort im Zweiten Weltkrieg verschont blieb.

Zurück zum Ausgangspunkt. Über eine gewundene kleine asphaltierte Straße geht es vom Ortseingang in Steffeln durch Felder hinauf zur Marienkapelle „Auf Wahlhausen“. Am 2. Juli 1944 nahm der charismatische damalige Pfarrer Brühl den Steffelnern das Gelübde ab, wenn ihr Ort den Weltkrieg unversehrt überstehen würde, eine Kapelle oberhalb der heute verschwundenen, mittelalterlichen Siedlung Wahlhausen zu errichten.

Am Ende hatte Steffeln zwei Tote aufgrund von Granateinschlägen zu betrauern. Doch der Ort blieb ansonsten verschont. Die gesamte Bevölkerung  packte mit an, um die Dankeskapelle zu errichten. 40 Kilometer weit geht von hier der Rundblick über die Eifel. Auf den Tag genau drei Jahre nach dem Gelübde wurde die Kapelle eingeweiht.

„Das Gedenken wird  hier bis heute lebendig gehalten“, so Werner Grasediek, der die Geschichte des kleinen Votivgotteshauses mit der Schutzmantelmadonna von Alfons Biermann aus hellem Maria Laacher Tuffstein kennt. Die Madonna besiegt den Drachen. Er trägt eine SA-Kappe und einen SA-Ehrendolch.

Den Blumenschmuck haben ein paar Frauen aus dem Dorf übernommen. Seit Jahren. Einfach so, für ihre Kirche vor Ort.

Bis heute wird die Kapelle zum Gebet und stillen Dank aufgesucht, an die 80 Votivtafeln hängen an den Wänden: „Maria hat geholfen!“ Den Blumenschmuck von Kapelle und der St. Michael-Pfarrkirche unten im Ort spenden elf Steffelnerinnen. Seit Jahren. Für die beiden Kirchen ihres Heimatdorfes, die auch ein Teil der „Kirche“ sind.

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Die Frage Gretchens an Dr. Heinrich Faust in Goethes „Faust – Der Tragödie 1. Teil“ beantwortet der berühmteste Glaubenszweifler der deutschen Literaturgeschichte nicht: „Lass das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut.“ Nur das Gefühl, man könnte es mit Subjektivismus übersetzen, zählt. Das Glauben, es ist seine Sache nicht. Nicht mehr.

Titelbild: Steffelns Küsterin Barbara Igelmund in St. Michael.