Weiler und Flecken

In der Eifel gibt es mittelgroße Städte, Kleinstädte, große Dörfer, kleine Dörfer, Flecken, Weiler, kleine Weiler, Wohnplätze, entstanden um eine Mühle oder einen Bauernhof. Genau dahin, wohin es selten jemanden verschlägt, führt diese kleine Eifelreise.

KÖLNISCHE HÖFE

„Tja, selbst die Winterdienste der Gemeinde und des Landkreises tun sich hier schwer…“ Helmut Mindermann, 76 Jahre alt, zuckt mit den Schultern und seine Miene ist leicht resignativ: Was soll man auch machen, wenn man da wohnt, wo sich sprichwörtlich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht!‘ sagen? Das trifft irgendwie ja schon für die „Kölnische Höfe“ zu, denn wer den Weiler, Teil der Gemeinde Kaperich in der Verbandsgemeinde Kelberg im nordöstlichen Zipfel des Landkreises Vulkaneifel sucht, der sollte sich nicht auf sein Navigationssystem verlassen.

Leni und Hubert Mindermann aus Kölnische Höfe an der Anna-und-Maria-Kapelle. „Vergessen Sie das Navi. Es findet unseren Ort meistens nicht“, rät Helmut Mindermann zur guten alten Straßenkarte.

„Die Leute finden uns oft nicht“, weiß Mindermann aus Erfahrung. Der Ur-Kölnische-Höfer empfiehlt daher die gute alte Straßenkarte. Da ist die kleine Straße, die ab „Uersfeld Bahnhof“ in den Wald hineinführt und nach zwei Kilometern unvermutet auf einem flach abfallenden Plateau die Siedlung erreicht, wenigstens verzeichnet. Das unscheinbare Hinweisschild darf man trotzdem nicht übersehen.

Der Beweis: Kölnische Höfe gíbt es wirklich.

In diesem Grenzgebiet zwischen den Landkreisen Vulkaneifel und Cochem-Zell wissen selbst die Bauhöfe manchmal nicht, wie weit sie jetzt den Schnee räumen müssen, wo also eigentlich die Zuständigkeit der Gemeinde Kaperich beginnt, und wo sie endet in diesem Niemandsland um eine leicht hufeisenförmige Sackgasse, die die wenigen Häuser mit ein, zwei Anliegerwegen verbindet. Keine 500 Meter weiter jedenfalls ist schon Cochem-Zeller Land.

Dafür allerdings hat man von hier oben auf 538 Metern Höhe bei guter Sicht den Blick „bis in den Hunsrück über das Moseltal hinweg“, verspricht Leni Mindermann. Sie ist der Liebe wegen nach Kölnische Höfe gekommen und hat zunächst durchaus wegen der abgelegenen Lage gefremdelt. Nach 48 Jahren Ehe mit ihrem Helmut räumt sie ein, „dass ich hiergeblieben bin“.

Zuletzt nach dem Sturm 2009 war Kölnische Höfe über Tage nicht erreichbar.

Schon um 1500 werden an der Stelle erste Bauernhöfe auf der offenbar gerodeten Fläche mitten im Wald erwähnt. 1741 waren es zwei und der Name bekannt: Kölnische Höfe, zu Kurköln gehörend, und nicht zum unweit beginnenden Territorium von Kurtrier. Diese Grenzlage ist über alle Zeitläufte geblieben.

Abgeschieden waren die Höfe immer, zuletzt 2009 nach starken Windwurfschäden im umgebenden Wald sogar vier Tage lang komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Da war die einzige Zufahrt schlicht durch umgefallene Bäume gesperrt und „unser Telefon das einzige, das hier noch funktionierte“, erinnert sich Leni Mindermann.

Sie und Ehemann Helmut stehen gerade an der „Anna und Maria“-Kapelle, in den 1950er Jahren von sechs Einwohnern der Höfe gemauert, das nötige Baumaterial habe man mit dem Karren am Fahrrad „bis aus Andernach geholt“, beteuert Helmut Mindermann nach Erzählungen seines Großvaters.

Eine Sackgasse, die am alten Backes vorbei führt: Kölnische Höfe in der Verbandsgemeinde Kelberg.

Gegenüber dem kleinen Gotteshäuschen steht das einzige unter Denkmalschutz gestellte Gebäude der Kölnischen Höfe: der Backes, das alte Backhaus von 1923. Bis 2011 fand hier das alljährliche Backesfest des „Hiester Wandervereins 1985 e.V.“ statt. Bis zu 1500 Besucher kamen, doch dann schliefen die Aktivitäten ein und Kölnische Höfe wurde wieder das, was es eigentlich immer war: Ein fast vergessener Wohnplatz, mitten im Wald. Mit dem Navi kaum zu finden.

PAULUSHOF

„Warten Sie, ich muss gerade mal zählen…“ Dieter Klein greift auf die Frage nach der Zahl seiner Nachbarn schnell zu einem Blatt Papier und einem Kugelschreiber. Er kennt sie ja alle, und es sind – keine fünf Minuten muss er nachdenken – 29. In Paulushof. Das ist überschaubar. Bei Bedarf könnte er noch die Kinderzahl samt Vornamen auflisten. Kein Kunststück für ihn, schließlich stammt er aus einer der ältesten Familien im Weiler.

Paulushof entstand auf einer Rodungsfläche mitten im Wald. Das ist bis heute gut zu erkennen. Foto: Wolkenkratzer/Wikipedia

Paulushof, Gemeinde Hellenthal im Kreis Euskirchen, hat eine Hauptstraße, davon wie ein „H“ abgehend kleinere Stiche. Erstmals wurde der Flecken oberhalb von Schmidtheim im Wald 1566 erwähnt, ein Rodungshof, der zur Herrschaft Wildenburg gehörte. „1652 lebte hier ein Förster der Wildenburg, ein Thiel auf dem Hoff“, so Dieter Klein zu den wenigen erhaltenen Nachweisen der Siedlungsgeschichte. Mitte des 18. Jahrhunderts sei ein „Hoff eines Paul“ verzeichnet aus dem das heutige Paulushof wurde – ein tradierter Hausname.

Die Geschichte von Susanne und Gret, auch so eine Anekdote aus Paulushof.

Immerhin hat man an der den Weiler passierenden Kreisstraße ein Buswartehäuschen und auch Radwanderwege führen vorbei. Und wie Kölnische Höfe eine von Einwohnern gebaute kleine Kapelle. „Das war mein Opa“, erzählt Dieter Klein. Der Großvater hatte ein kleines Baugeschäft mit bis zu 20 Beschäftigten, erinnert sich der Enkel. Es muss Mitte des 20. Jahrhunderts die Boomtown-Zeit hier oben mitten im Wald gewesen sein.

29 Einwohner.

Zuvor war der Weiler ans Strom- und Wassernetz angeschlossen worden. Beides in solchen Wohnplätzen der Eifel die entscheidende Zäsur. Auch die Zufahrt nach Paulushof wurde endlich asphaltiert, bis dahin führten Feldwege zum besiedelten Rodungsplatz.

Dieter Klein erinnert sich noch gut daran, wie das Leben einst in seinem Heimatweiler war. An harte Winter mit so viel Schnee, dass Paulushof immer mal wieder von der Außenwelt abgeschnitten war. „Der Schulbus musste hinter dem Schneepflug fahren, anders kam man nicht weg“, so Klein. Als Junge habe er sich Taschengeld damit verdient, dass er Eier und Butter von den Bauern in Paulushof in den Nachbardörfern verkaufte. Zu Fuß machte er sich auf den Weg.

Und dann erwähnt er noch „Susanne und Gret, die beiden Juffern.“ Die Schwestern lebten – es muss ebenfalls mehr als 50 Jahre her sein – zurückgezogen in einem alten Fachwerkhaus. Sie führten als Selbstversorger eine kleine Landwirtschaft und „rauchten Zigarre und Pfeife“. Das fanden er und die anderen Kinder in Paulushof natürlich mindestens geheimnisvoll. Und so wurden Susanne und Gret die zwei Frauen, die im „Hexenhäuschen“ lebten. Ein bisschen wie im Märchen.

LUPPERTSEIFFEN

Steil, sehr steil geht es die Hauptstraße von Luppertseiffen hinab bis zum Wendehammer. Eine Sackgasse und am Ende keine Auslaufzone. „Ohne Allrad ist das im Winter schwierig“, grinst Engelbert Theis und blickt die 18 Prozent geneigte asphaltierte Piste an den wenigen Häusern des Weilers vorbei hinunter. „Bei starken Regen wird das schnell zum reißenden Bach“. Man glaubt es ihm sofort. Der 85-Jährige ist schließlich in Luppertseiffen, Teil der Ortsgemeinde Oberpierscheid im südlichen Teil der Landkreises Bitburg-Prüm, aufgewachsen.

„Bei Starkregen wird das hier zum reißenden Bach“. Engelbert Theis und Petra Hauer am Ortseingang von Lupperseiffen. Die Dorfstraße, eine Sackgasse, hat 18 Prozent Gefälle.

Der Name, das hat seine Nachbarin Gudrun Fischbach-Meiers gerade recherchiert, leitet sich vom Besitzer eines Hofes ab: Julius Wolf ist 1697 im Haus Schull (Schull = Julius) nachgewiesen. Aus Wolf, lateinisch Lupus, französisch Loup mit Blick auf die Besatzungszeit der Region im 18. Jahrhundert, sowie der Bezeichnung Seiffen oder Siefen für ein schmales, eingeschnittenes Tal, könnte der Ortsname entstanden sein.

21 Einwohner in sieben Häusern – Theis stammt aus Haus Schohster (Nummer2), Enkelin Petra Hauer aus dem Haus Schull Sus (Haus Nummer 5, hier wohnte einst die Tochter des  Julius Wolf, Susanne  = Sus), dem zweitältesten des Wohnplatzes. Ja das sei hier wie in Paulushof gewesen, meint Theis. Mit der Elektrifizierung Mitte der 1960er Jahre sei es mit der Kerzenbeleuchtung in den Häusern – außer es fiel der Strom einmal aus – endlich vorbei gewesen. Nur ja keine falsche Romantik!

„Früher war man einen halben Tag zum Einkaufen unterwegs. Zu Fuß!“

Und auch der erste Fernseher, das erste Auto – natürlich ein „Käfer“ – waren solche Ereignisse, die das Leben hier an der steilen Rampe wie in anderen einsamen Streusiedlungen veränderten. „Vorher war man einen guten halben Tag zu Fuß unterwegs, wenn man nach Waxweiler zum Einkaufen ging“, erinnert sich Engelbert Theis. „In Waxweiler gab es eben den nächsten Metzger, einen Bäcker und einen Tante-Emma-Laden“, so Petra Hauer zur Erklärung.

Wege, die ob in Paulushof, Kölnische Höfe oder eben in Luppertseiffen lange Jahre fast zum Alltag gehörten. Die 18 Prozent steile Rampe, deren Verlängerung ein schmaler Wanderweg jenseits des Wendehammers ist, haben sie in Lupperseiffen aber exklusiv.

HAMMERHÜTTE

Und jetzt nach Hammerhütte, mehr oder weniger auf der Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, ein Ortsteil von Baasem in der Gemeinde Dahlem im Kreis Euskirchen.

Das, was es jetzt zu erzählen gibt, hat der Heimatforscher Hubert Pitzen aus Stadtkyll aufgeschrieben: Wie der legendäre Schmied Peter Joseph Werner aus Hammerhütte einst den Soldaten der Revolutionstruppen Napoleons entkam.

Noch kleiner: nach Hammerhütte.

An einem Oktoberabend im Jahr 1795 war das, und Werner, auf dem Heimweg nach einer langen Arbeitswoche in Blumenthal, hatte zuerst Pech gehabt. Im Wald bei Wolfert war er, obwohl ein Hüne, von den französischen Truppen gefangen genommen worden. Die hatten ihn entdeckt, als er sich in stockdunkler Nacht zu nahe an ihr Lagerfeuer herangeschlichen hatte.  Dort harrten die Soldaten eher unschlüssig aus. Sie hatten sich schlicht verlaufen.

Da kam der offenbar ortskundige Schmied auf dem Heimweg gerade recht.  Er sollte den Trupp nach Marmagen führen. Dort lagerten österreichische Soldaten. Marmagen war Ende des 18. Jahrhunderts eine Exklave des Habsburgerreiches. Die Soldaten Napoleons wollten sie überfallen und vertreiben.

Der Schmied überlegte sich eine List um seinen Bewachern zu entkommen.

Was dann geschah? Josef Reuter steht in seinem Wohnzimmer im Hammerhütte auf und geht zur großen Standuhr an der Wand. Ein Biedermeierschmuckstück. Er öffnet den Uhrenkasten, greift hinein – und zieht vorsichtig einen alten Säbel heraus. Die Klinge ist zwar angerostet, aber ganz unscharf ist sie nicht. Reuter weiß, wie die Waffe in das kuriose Versteck gekommen ist.

In jener Nacht im Oktober 1795 hatte sich Peter Joseph Werner in seiner Not eine List überlegt. Er wollte die österreichischen Truppen jedenfalls nicht gegenüber den französischen Besatzern verraten. Also sagte er zu, die Soldaten zu führen. Doch die merkten in den folgenden Stunden, dass der Mondstand sich änderte: Mal schien er von rechts, dann wieder von links. Sie wurden im Kreis geführt.

Josef Reuter bewahrt den „Säbel von Hammerhütte“ im Kasten der Standuhr auf. Um die Hiebwaffe rankt sich eine Begebenheit aus der napoleonischen Besatzungszeit der Eifel und eine heldenhafte Tat des Schmieds aus Hammerhütte.

Es habe dann zu einer Erschießung Werners kommen sollen, so Josef Reuter. Und Historiker Hubert Pitzen ergänzt, was überliefert ist: „Zwei Soldaten führten Werner gefesselt in den Wald. Doch der versetzte sie in ein heftiges Streitgespräch, in dessen Folge es ihm gelungen sein soll, seine Fesseln zu lösen.“ Und dann habe der große starke Mann sich die ihm körperlich deutlich Unterlegenen gepackt und so heftig mit ihren Köpfen aneinandergeschlagen, bis sie bewusstlos wurden.

Peter Joseph Werner gelang die Flucht. Einen Säbel eines seiner Bewacher nahm er mit. Er habe ihn zunächst für eine Zeit im Heu versteckt, bis die Franzosen wieder aus der Eifel abgezogen waren, heißt es. „Dann kam der Säbel zu meinem Urgroßvater, und mein Großvater versteckte ihn hier in der Uhr, als die Familie 1904 das Haus gekauft hatte und aus dem alten Wohnhaus weiter unterhalb hierhin umzog“, so Josef Reuter.

„Es hieß: pro Tag ein Liter Schnaps für die Männer von Hammerhütte!“

Die Geschichte vom alten Säbel gibt er immer mal wieder zum Besten und dass die Hiebwaffe selbst bei den Durchsuchungen des Hauses durch die alliierten Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs unentdeckt blieb. Wer sucht auch schon im Uhrenkasten?

Bis 1850 war die Eisenhütte, die dem Weiler den Namen gab, noch in Betrieb. Sie produzierte, so  Historiker Pitzen, 1836 noch etwa 7000 Zentner Roheisen im Wert von 16.800 Talern und stellte im Hammerwerk Stabeisen im Wert von 2800 Talern her. Ein gutes Einkommen für die „immer fünf Familien, oft waren sie kinderreich, die hier in drei Wohnhäusern gelebt haben“, so Josef Reuter.

1850 wurde der Hüttenbetrieb aufgegeben und an das Wohnhaus des Hüttenbetreibers, dem Haus Werner, in dem heute Reuters wohnen, eine Schnapsbrennerei angebaut. Sie bestand bis 1924.

„Es hieß dann: Pro Tag ein Liter Schnaps für die Männer von Hammerhütte“, grinst Josef Reuter. Und dass keiner der Männer „älter als 50 Jahre geworden ist“. Sein Opa jedenfalls sei damals wohl „der einzige Mann auf der Hütte gewesen, der nicht zum Alkoholiker wurde.“

Versteckt hinter Bäumen, geschützt von einer Mauer: Hammerhütte liegt an der Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen und der Zufahrt zur B 51 bei Baasem und Stadtkyll.

Heute ist von der einstigen Mühle nur das eigentliche Mühlgebäude geblieben, genauer ein Aufbau von 1803 auf Fundamenten, die wesentlich älter sind, vielleicht noch aus dem 16. Jahrhundert. Aus dieser Zeit datiert die erste urkundliche Erwähnung einer Hütte an der Mündung des Kerschenbachs in die Kyll.

Dafür ist das alte Problem des halbjährlichen „Besuchs“ der Kyll, „dann stand das Wasser den Kühen im Stall bis zum Bauch“, so Reuter, gelöst. 1969 wurde abgrenzend zu den flachen Kyllwiesen ein Damm aufgeschüttet.

Geblieben ist im Reuterschen Wohnhaus der „Griff in die Geschichte“: Denn zückt Josef Reuter den Säbel aus dem Uhrenkasten, dann ist schnell die Begebenheit jener Nacht im Oktober 1795 wieder wachgerufen, als der Schmied von Hammerhütte, als Peter Joseph Werner die Franzosen foppte und ihnen einen Säbel stahl.

INFO
„Der Säbel von Hammerhütte“ ist erstmals in „Eifel hautnah – das Buch 2021“ erschienen. Mehr zum Buch finden Sie hier.

Titelbild: Hammerhütte (Gemeinde Dahlem, Kreis Euskirchen). Das kleine Gebäude ist 1802 auf den Fundamenten der einstigen Mühle aufgebaut und heute bewohnt. 1803 entstand das Wohnhaus der Familie Legeland im Hintergrund.