Die Wandersaison hat begonnen. Viele kennen den „Eifelsteig“, der hier deshalb nicht berücksichtigt wird. Aber es gibt Alternativen, die ebenfalls gut 300 Kilometer lang sind – und eher unbekannt. Zum Beispiel diese Route zwischen Brohl am Rhein und Trier. Es folgen jetzt keine trockenen Etappenbeschreibungen – sondern eine Wandererzählung. Viel Vergnügen!
Am Ende, beim abschließenden Glas erfrischenden halbtrockenen „Sommerpalais“ im „Biergarten“ des Weinguts Reichsgraf von Kesselstatt im Schatten des Trierer Doms sind es 30° Celsius. Doch das war sieben Wochen nach dem Start in Brohl am Rhein Anfang März. Und zuvor sollte es in den frühen Morgenstunden und vormittags teilweise nur knapp über Null Grad gewesen sein. Man braucht natürlich keine sieben Wochen für die 308 Kilometer lange Strecke über 14 Tagesetappen zwischen Brohl am Rhein und Trier. Die werden es dann, wenn man nur am Wochenende geht.
Die Eifel, das Mittelgebirge zwischen Aachen, Köln, Koblenz und Trier, kennzeichnet ihre Vielseitigkeit und Kleinteiligkeit. Auf dieser Route sind es die Vulkaneifel, der Islek und die Südeifel. Die Etappen von Brohl am Rhein über Maria Lach und Mayen nach Monreal zeigen sofort die Charakteristika der von den Autoren Christiane Rüffer-Lukowicz und Jochen Rüffer ausgewählten Strecke auf: Buchenwälder direkt nach dem steilen Anstieg der Anfangsetappe über den Schieferfels und die „Eselstrapp“ hinauf auf die Hochebene der Osteifel; der stille Laacher See, der jüngste der zahlreichen Vulkankrater der Eifel, mit der imposanten Basilika der Benediktiner in Maria Laach, und die Hochebene mit Blick ins Maifeld bei Mendig. Überhaupt die Blicke: Sie belohnen für Anstiege, die es in sich haben, so zum Beispiel nach Passieren von Schloss Bürresheim oberhalb von Mayen über die Serpentinen von Nitzbach hinauf zur Bleiberghütte.
Das sind die geologisch gesehen groben Linien, doch kein Wanderer wäre hier unterwegs, gäbe es dazwischen nicht die vielen kleinen Besonderheiten zu entdecken. Zum Beispiel ein Bachtal oberhalb der Quellen von Tönisstein – voll von Bärlauch; oder die Trassstein-Höhlen weiter unterhalb – oder zwischen Mayen und Ulmen das idyllische Monreal. Das Städtchen ist ungleich weniger bekannt als Monschau, doch auch hier gibt es idyllische Gassen mit Fachwerk- und alten Bruchsteinhäusern. Drei alte Steinbrücken queren die Elz, die Löwenbrücke mit der Nepomuk-Statue ist wohl die schönste.
Ins Herz der Vulkane führen die Folgeetappen von Ulmen über Daun nach Gerolstein. Hier ist auch ein Wechsel auf den bekannten 2009 eröffneten „Eifelsteig“ (perfekt markiert, kein Wanderführer nötig), oder den „Weitwanderweg durch die Eifel – Vom Hohen Venn bis zur Vulkaneifel“ – also über eine nordöstliche Route – von den Autoren Rüffer-Lukowicz/ Rüffer möglich. Beide Weitwanderwege sind ebenfalls empfehlenswert – wenn auch der Autor die südliche Variante von Brohl nach Trier, nachdem er die beiden anderen gegangen ist, klar bevorzugt.
Die „Augen der Eifel“ werden die drei Maare oberhalb der Kreisstadt Daun genannt. Sie liegen dicht beieinander, und sind doch unterschiedlich: das Schalkenmehrener Maar wirkt entspannt im Mittagslicht. Ein vor wenigen Jahren runderneuertes Freibad und Bootsverleih am Ufer. Das Weinfelder oder „Totenmaar“ mit der geheimnisvollen Weinfelder Kapelle hat eher düsteren Charakter. Der Legende nach ist im Maar ein ganzes Dorf verschwunden, und ab und zu sollen noch Leichen an der Oberfläche auftauchen. Tatsächlich aber lag unterhalb der Kapelle, auf der dem Maar abgewandten Seite, das Dorf Weinfeld, das von der Bevölkerung aufgegeben wurde. Im 19. Jahrhundert ging das vielen Orten in der Region so. Die kargen Böden gaben zu wenig her – man suchte sein Glück in der Auswanderung. Im Waldgebiet der Gemarkung können Einheimische aus der Umgebung noch heute zu alten Mauerresten des Dorfes Weinfeld führen. Das Gemündener Maar mitten im Wald schließlich wirkt wie ein Bergsee in den Alpen. Das Wasser ist tiefblau – das Maar ist das tiefste der drei.
Maare gibt es in den heutigen Landkreisen Mayen-Koblenz, Vulkaneifel und am rande auch im Landkreis Cochem-Zell mehr als genug. Sie können so klein sein wie ein Dorfteich, so zum Beispiel der Windsborner Krater oder das Eichholzmaar, aber auch so groß wie ein See, zum Beispiel das Pulvermaar oder das Meerfelder Maar. Alle vier werden auf dieser Route nicht passiert, stattdessen ist nach dem Besuch der Reste des gallo-römischen Umgangstempels „Juddekirchhof“ das eiszeitliche Riff der „Gerolsteiner Dolomiten“ oberhalb der Brunnenstadt dieses Mal das Ende der Vulkanismus-Passagen.
Weiter nach Prüm, Waxweiler und Neuerburg ändert sich die Landschaft. Die Hochflächen werden weiter und offener, die Taleinschnitte tiefer und steiler. Islek heißt die Gegend, die am Rande begangen wird, denn der eigentliche Kern mit kahlen Feldern und Wiesen, direkt anschließend an das Moor des Hohen Venns, liegt nordwestlich. Der Islek galt über Jahrhunderte als so unwirtlich, dass dieser Teil der Eifel im Grenzgebiet zu Belgien erst als letzter besiedelt wurde.
Der „Weitwanderweg durch die südliche Eifel“ führt stattdessen über die gut erkennbare Kammstruktur der südlich gelegenen Region. Die Dörfer sind auf den Höhenrücken – doch ursprünglich lagen viele von ihnen an den Mühlen der Bachläufe im Tal. Wie Oberpierscheid. Das Dorf wurde evakuiert, als unten im Tal die Sumpfpest wütete, und weiter ober am Hang neu gegründet, schließlich ein drittes Mal und jetzt auf dem Höhenrücken angelegt. Heute ist die Mitte des Ortes die St. Simeon-Kapelle, eine der ältesten der Eifel, denn die erste urkundliche Erwähnung von 1408 behauptet schon, dass „seit Menschengedenken hier eine Kirche stand“, so der Küster des Gotteshauses.
Immer wieder gibt es neben den kleinen Kirchen und Kapellen in den Dörfern mahnende Pest- oder Gedenkkreuze aus Basaltstein am Wegesrand. Die Eifel war immer eine katholische Gegend – oder sagen wir eher: fast immer. Denn auch in Waxweiler war es gegen Ende des 7. Jahrhunderts anders. Hier tanzten sie heidnische Bitt- und Banntänze gegen die Maul- und Klauenseuche des Viehs als Willibrord, ein Bonifatius-Jünger und als Erzbischof von Utrecht mit Filialbistum im luxemburgischen Echternach mit der Christianisierung auch der heutigen westlichen und südlichen Eifel betraut, auf einer seiner Missionsreisen nach Waxweiler kam. Das heidnische Gespringe soll dem charismatischen Gottesmann so sehr missfallen haben, dass er den Dörflern auferlegte, zur Buße alljährlich an Pfingsten nach Echternach zu pilgern, wo die Waxweiler Pilger dann ihren springenden Tanz aufführten: Die Geburtsstunde der Wallfahrt und der abschließenden sprichwörtlichen Springprozession in der Bischofsstadt, die beide urkundlich seit 1497 verbürgt sind. Die Springprozession ist seit 2010 „Immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe“.
Im Neuerburger Ländchen, dem nächsten Wanderziel weiter südlich, wusste man davon vermutlich nicht viel. Noch heute wirkt die Kleinstadt im schmalen, tief eingeschnittenen Enztal wie eine abgeschlossene Welt. Der Ortskern ist überhaupt erst aus nördlicher Richtung richtig zugänglich, seit man dort den Fels wegsprengte, um neben dem alten Fußpfad Platz für eine Straße zu schaffen. Neuerburg ist immer noch ein Marktflecken mit einigen Barockhäusern. Von der einstigen Pracht ist seit den Feldzügen der französischen Truppen unter Ludwig XIV. und Napoleon wenig übrig geblieben. Das wenige aber ist schön genug.
Die Eifel war immer Aufmarschgebiet. Die Schweden, die Franzosen, die Westwalloffensive des Zweiten Weltkriegs – Heimsuchungen für eine auch heute noch streckenweise infrastrukturschwache Landschaft und ihre in zahllosen Streusiedlungen leben Menschen. Wie abgeschieden das damalige Leben war, sieht man noch heute am Weiler Luppertseifen oberhalb von Waxweiler. Die einzige Dorfstraße, eine Sackgasse mit an die 20% Gefälle, führt an wenigen Häusern vorbei und endet in einem schmalen Waldweg zu einem Siefen. Solche Wohnplätze entstanden rund um einen Bauernhof oder eine Mühle, und bis die Elektrifizierung Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch nach Luppertseifen kam, gab es nur Kerzenlicht.
Teil 3 der Weitwanderroute führt in die Südeifel, neben der Vulkaneifel die schönste Gegend der Region. Von Neuerburg zunächst nach Vianden, über einen steilen Pfad hinunter nach Bivels im Ourtal, vorbei an der Ruine Falkenstein – eines von über 1000 Objekten, das französische Truppen im 18. Jahrhundert zerstörten. Es gab eine offizielle Liste der Burgen, Schlösser und Städte, die mehr oder weniger unbewohnbar zu machen waren. Unten im Ourtal führt die Wanderung erstmals nach Luxemburg. Der Fluss ist die natürliche Landesgrenze. Durch Buchenwälder wird Vianden erreicht, ein Städtchen mit französischem Flair. Von dort aus geht es am Flussufer der Our und später der Sauer entlang nach Bollendorf, eine von zwei Überführungsetappen der Gesamtroute. Hier führt sie zum spektakulären Schlussteil des Weitwanderweges.
Das ist allemal einen Wanderurlaub wert! Es geht schon oberhalb von Bollendorf mit dem Etappenziel Echternach unterhalb dramatischer Buntsandsteinfelsen-Kulissen, durch Höhlen und Labyrinthe, über Stufen und Treppen hinauf und hinab. Die Strecke führt dann auf das „Ferschweiler Plateau“, seit Jahrhunderten ein mythischer Ort. Archäologen haben hier Reste einer keltischen Ringwallanlage, keltische Kistengräber und natürlich – wie in der gesamten Eifel – zahlreiche römische Spuren gefunden.
Mitten im lichten Buchenwald des Plateaus steht am Wegesrand ein 2,5 Meter hoher Menhir, das „Fraubillenkreuz“, das der Sage nach von dem schon erwähnten Willibrord aus dem zuvor ungestalteten Sandstein gehauen worden sein soll. Die Christianisierung durch Formgebung des alten heidnischen Heiligtums änderte nichts an der ursprünglichen Bestimmung. Demnach soll im Stein eine „Sibylle“ gehaust haben. So bezeichnete man im Mittelalter Frauen, denen die Gabe der Weissagung zugesprochen wurde. Dass da der Schritt zur Denunziation starker Frauen als Hexe nicht weit war, liegt nahe. Vereinzelt – auf dieser Route zum Beispiel zwischen Brohl und Maria Laach sowie oberhalb von Neuerburg – finden sich in der Eifel noch heute „Hexentanzplätze“, eine euphemistische Umschreibung für historische Hinrichtungsstätten.
Unterhalb des „Ferschweiler Plateaus“ und der zuvor durchstiegenen „Teufelsschlucht“ bei Irrel erreicht die Tour Echternach. Die mächtige Basilika im Sauertal wirkt einschüchternd, das Städtchen selbst, das älteste im Großherzogtum Luxemburg, nennt sich gerne „Klein Paris“, was einfach stimmt. Die Atmosphäre ist leicht, die zahlreichen Cafés und Restaurants mit ihren Außenterrassen sind gut gefüllt – Savoir Vivre.
Von hier aus ist die vorletzte Etappe ein Rundweg durch die erwähnte „Luxemburgische Schweiz“. Sicherlich der Höhepunkt des Weitwanderweges durch die südliche Eifel, und wie fast alle Etappen gleichermaßen schön wie anstrengend. Es geht über Berdorf und der „Houl-Lay“, einer Sandsteinhöhle, in der seit den Römern bis ins 19. Jahrhundert Mühlsteine gebrochen wurden, nach Consdorf und dann zurück nach Echternach. Die größten der spektakulären Sandsteinriesen am Weg tragen Namen wie „Der Mandarin“, „Predigtstuhl“, „Binzelt-Schloeff“, „Adlerhorst“ oder „Schelmenlay“, ein Felsen am Rande eines Siefens mit einer überwältigenden Fülle an Farnen, Efeu, Moos und Frühjahrsblühern.
Denn diese Wanderung ist zwischen Ende März und Anfang Mai ein Weg in den Frühling. Zu Beginn ab und zu erste Wildnarzissen an kleinen Bachläufen, in den Orten und an den Hängen in den Wochen danach Forsythien, und gegen Ende Löwenzahnwiesen, leuchtende Rapsfelder und der Beginn der Ginsterblüte, dem „Eifel-Gold“. Die Farbe des Landstrichs, den man „Preußisch Sibirien“ nannte, ist leuchtendes Gelb.
Auf dem Weg zum Ziel und schon einige Tage zuvor dann sommerliche Temperaturen. Zunächst über die Mindener Lay, einem Muschelkalkfelsen, durch einen idyllischen Hohlweg aus Beerensträuchern mit Blick auf unten am Sauerufer angelegte reaktivierte ehemals römische Weingärten; später wieder hinunter nach Wintersdorf in eine Vegetation, die an südliche Länder denken lässt.
Dann der lange letzte Anstieg nach Trierweiler und schließlich bis zur Mariensäule oberhalb von Trier auf dem Kamm der Basaltfelsen, die wie ein Riegel das Moseltal von der Eifel abtrennen. „Lieber zweimal im Jahr die Mosel im Keller, als immer in der Eifel leben“, heißt es in Trier. Die Eifler nehmen das zur Kenntnis und kontern ihrerseits zum Beispiel mit dem Witz von den Schneckensammlern: Ein Eifler und ein Moselaner sammeln Weinbergschnecken. Nach einer Stunde hat der fleißige Eifler sein Körbchen voll, der Trier aber nur zwei Schnecken aufgesammelt. Auf die Frage des Eiflers, warum das so sei, antwortet der Kollege: „Die sind so schnell…“
Das allerdings ist nicht der erste Gedanke, den man mit Blick hinab von der Mariensäule auf Trier und die Mosel im nachmittäglichen Sonnenlicht hat. Die Perspektive erinnert dafür viel zu sehr an den ersten Tag, an den Blick von oberhalb der „Eselstrapp“ auf Brohl, den Rhein und das Siebengebirge am Horizont. Zwischen beiden Flüssen: die Eifel.